Grünsein schützt vor Lobbyismus nicht

■ Wie der grüne Bundestagsabgeordnete Klaus Müller dafür sorgte, daß es noch bis zum Jahr 2001 Verlustzuschreibungen geben wird

Bonn (taz) – Wer kennt schon Klaus Müller? Den bündnisgrünen Neuling im Finanzausschuß des Bundestages? Alle Interessenvertreter, die in den letzten Tagen noch an der rot-grünen Steuerpolitik drehen wollten, kennen ihn. Die „Lobbyisten“ genannten Kanalarbeiter, Bittsteller, Einflüsterer und Strippenzieher der über 2.000 in Bonn registrierten Verbände haben den 28jährigen mit Faxen überhäuft. Sie haben ihn zu fulminanten Frühstücksbuffets eingeladen. Und sich dem Jungabgeordneten Müller mehr oder weniger charmant genähert.

„Man muß aufpassen, daß man rechtzeitig auf Durchzug stellt“, sagt der Diplomvolkswirt, der in Bonn die Treppe hinaufgefallen ist. Für die Grünen sitzt er als „Obmann Steuerpolitik“ im Finanzausschuß, dessen Vorsitzende Müllers Parteifreundin Christine Scheel ist. Zusammen mit dem altgedienten Steuerfachmann Joachim Poß und Finanzstaatssekretärin Barbara Hendricks (beide SPD) gehören sie zum rot-grünen Steuer-Quartett, das die ersten Erfolge der Regierung eingetütet hat.

Wer weiß schon, was eine Verlustzuschreibungsgesellschaft ist? Otto und Ottilie NormalverdienerIn sicher nicht. Aber der Hamburger Millionär, den Gerhard Schröder als Kanzlerkandidat verbal zur Kasse bat, wenn er im Wahlkampf Steuergerechtigkeit versprach. Der Großverdiener tilgt sein steuerpflichtiges Einkommen durch die Ausweisung horrender Verluste und rechnet sich arm – fürs Finanzamt. Das wollte Rot-Grün unmöglich machen. Doch was für den braven Steuerzahler igittigitt ist, das wurde für Müller schnell zu einer diffizilen Angelegenheit.

Veronika Ferres und ein Husumer Windradhersteller haben Müller überzeugt. Nicht Frau Ferres direkt, sondern Filmemacher von Nordrhein-Westfalen bis zu den Babelsberger Defa-Studios. Sie schlugen Alarm: Auch das deutsche Kino finanziert sich über Verlustzuschreibungsgesellschaften. Der bislang gesetzlich erlaubte Steuerbetrug ermöglicht nicht nur zweifelhafte Schiffsbauprojekte oder beschert dem kaufkraftschwachen Osten weitere Einkaufspaläste.

Für den jungen Volksvertreter gehörte das Lamento der Filmbranche nun nicht mehr zum „Kesseltreiben“ gegen das Steuerentlastungsgesetz. Der Finanzwissenschaftler Müller prüfte neben Hunderten anderen auch diesen Änderungswunsch – und sah die negativen Auswirkungen auf Wagniskapital und Unternehmensgründer. Schließlich wiesen ihn grüne Bundestagskollegen darauf hin, „daß wir ein ernsthaftes Problem mit der Energiegewinnung aus Windkraft bekommen, wenn ihr Finanzer das von heute auf morgen abschafft“.

In diesem Moment wurde Klaus Müller selbst zum Bittsteller. Er rief bei einem Husumer Windradhersteller an. „Erklär mir das mal“, bat er den Eigner. Dessen Betrieb profitiert zwar nicht direkt von der Verlustzuschreibung. Bei deren sofortiger Abschaffung hätte es aber auch kein Kapital mehr zur Errichtung von Windparks gegeben, und ohne Windparks weder Strukturwandel im Norden noch die erwünschte Energiewende.

Verlustzuschreibungen werden prinzipiell abgeschafft, stand gestern in einer Wirtschaftszeitung. Aber Gesellschaften, die vor dem 5.3. 1999 „objektiv erkennbare Investitionsentscheidungen“ getroffen haben, dürfen bis 2001 Kapital einwerben. Nach Interpretationen der Koalition profitieren davon unter anderem Fonds für Energie und Medien.

Wer weiß schon, wie dieser Kompromiß zustande kam? Der Lobbyist Klaus Müller, der ihn mit der SPD aushandelte. Christian Füller