„Quotierung ist längst zum Vorwand geworden“

■ Gesundheitsministerin Andrea Fischer fordert ein Ende des Strömungsproporzes und Abschaffung der Dopppelspitze: „Die Kunst der Integration liegt darin, daß eine einzelne Person das schafft“

taz: Was halten Sie vom Vorstoß Ihrer Kabinettskollegen Joschka Fischer und Jürgen Trittin, die eine Strukturreform für die Partei fordern?

Andrea Fischer: Die Probleme, die wir im Moment haben, sollten für uns durchaus Anlaß sein, über ein paar Regeln nachzudenken – und zwar unter dem Gesichtspunkt, daß wir uns diese Regeln einmal für einen bestimmten Zweck gegeben haben. Der Zweck war damals, die Partei gegenüber den Fraktionen stark zu halten. Im Lichte der Entwicklung müssen wir uns anschauen, ob die Trennung von Amt und Mandat und die Doppelspitze heute noch diesen Sinn erfüllen oder ob sie zum Eigentor werden.

Wenn Sie selbst das Wort Eigentor schon nennen, dann liegt der Gedanke nahe, daß sie die Regelungen dafür halten.

Wir spielen jetzt durch die Regierungsbeteiligung in einer anderen Liga, wo wir eine Stärkung durch Konzentration auf Führungspositionen brauchen. Im Moment sind wir damit beschäftigt, uns untereinander zu sortieren, statt nach außen Flagge zu zeigen. Es ist auch eine Frage der intellektuellen Feigheit zu denken, daß immer nur zwei Flügelexponenten gemeinsam Integration praktizieren könnten. Die Kunst liegt doch darin, daß eine einzelne Person das schafft.

Es geht doch bei der Doppelspitze nicht nur um Strömungen, sondern auch um die Frauenquote. Ist die denn nun auch verzichtbar?

Die Doppelspitze wird zwar mit der Quotierung begründet, aber die Quotierung ist längst zum Vorwand dafür geworden, die immer gleichen Strömungen zu bedienen. Dabei wird gar nicht mehr die Frage gestellt, ob dieser Proporz überhaupt noch die verschiedenen Strömungen in der Partei widerspiegelt.

Aber bedeutet ein Ende der Doppelspitze nicht automatisch ein Ende der Frauenquote?

Die Frage ist, ob man die Quote nicht eher gerade damit rettet, daß man sich überlegt, ob es Alternativen zur Doppelspitze gibt.

Wie könnten die aussehen?

Ich will jetzt hier nicht ein ausgefeiltes Modell für eine mögliche Strukturreform entwerfen. Aber denkbar wäre ja zum Beispiel ein erster Zugriff für Frauen auf Spitzenpositionen bei den Grünen. Das kann für Partei wie für Fraktion gelten. Un wenn dann tatsächlich keine Frau gewählt wird, dann wird es eben ein Mann. Wir haben die Quote ja nicht eingeführt, weil wir Frauen grundsätzlich für besser halten, sondern weil diese Gesellschaft strukturelle Barrieren für Frauen aufgebaut hat, die wir niederreißen wollen. Einer von den ausdrücklich gewollten Effekten der Quote ist ja, daß sie uns zwingt, nach guten Frauen zu suchen.

Ist das nicht sehr theoretisch? Ein Mann wie Joschka Fischer würde doch schon deshalb gewählt, wenn er das wollte, weil viele Delegierte fürchteten, eine Niederlage würde ihn auch im Amt des Außenministers schwächen.

Wir haben doch jetzt in der alltäglichen Praxis der Grünen trotz aller Quotierungsregelungen einen heimlichen Parteivorsitzenden und Übervater Joschka Fischer. Das muß uns doch nachdenklich machen, ob wir mit unseren Strukturen das erreichen, was wir wollen.

Ist denn jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Strukturdebatte?

Wenn es eine Berechtigung für eine Überprüfung unserer Strukturen gibt, dann können wir dafür nie einen optimalen Zeitpunkt finden. Es gibt keine Veranlassung, die Debatte hektisch zu führen, aber wir dürfen uns auch nicht wegducken. Es gibt auch keinen Grund, über der Strukturdebatte die inhaltliche Diskussion zu vernachlässigen.

Aber genau das wird ja vorhersehbar auf dem Parteitag am Wochenende passieren. Im Mittelpunkt der Aussprache über die Situation von Bündnis 90/Die Grünen wird die Strukturdebatte stehen.

Ich sehe das noch nicht. Ich glaube nicht, daß alle nur über Strukturen reden. Das hielte ich auch für die falsche Priorität. Aber Parteien sind keine Vereine zur Traditionspflege, sondern lebendige und komplexe Gebilde, die Veränderungen der Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen müssen.

Finden Sie denn das Erscheinungsbild Ihrer Partei unter dem Stichwort „grünes Profil“ derzeit überzeugend?

Ich finde, meine Partei ist sowohl zu wenig selbstkritisch als auch zu wenig selbstbewußt. Zu wenig selbstkritisch heißt: Viele wollen sich dem Ausmaß der Veränderung, die die Regierungsbeteiligung für uns bedeutet, nicht stellen und das Ganze als Diskurs über die eigene Identität führen. Zu wenig selbstbewußt bedeutet: Ich bin immer noch der tiefen Überzeugung, daß diese Gesellschaft eine Partei braucht, die mit einem grünen Blick auf die Welt Politik macht. Das bedeutet für mich, in Kategorien zu denken wie Nachhaltigkeit, Geschlechterdemokratie und Generationengerechtigkeit. Es ist aber durchaus möglich, daß unter diesem Gesichtspunkt heute andere Fragen die wichtigsten sind als vor zehn Jahren.

Heißt das neben einer Kritik an Strukturen nicht zugleich Kritik an handelnden Personen?

Wenn ich die hätte, dann äußerte ich sie nicht in einem Zeitungsinterview. Interview: Bettina Gaus