Ja. Ums Europaprogramm geht es auch auf dem heute beginnenden Parteitag der Grünen. Spannender für Delegierte und Medien aber wird der frisch aufgeflammte Streit um eine Parteireform. Bleibt die strömungskonform ausgewogene Führungsstruktur, oder kommt im Jahr 2000 der/die mächtige Parteivorsitzende? Von Bettina Gaus

Grüne: Doppelt oder einsam Spitze

Eine „lebendige Diskussion“ in der Partei über neue Strukturen und Inhalte wünschen sich prominente Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen. Viel Zeit lassen sie der Basis allerdings nicht, um diesen Wunsch zu erfüllen: Nur etwas mehr als eine Stunde wird sie der bisherigen Planung zufolge auf dem Erfurter Parteitag am Wochenende in der Debatte über die Situation der Partei zu Wort kommen.

Zu den ministeriellen Forderungen von Joschka Fischer und Jürgen Trittin nach Abschaffung der Doppelspitze und Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat soll sich am Samstag nachmittag zwischen 15 und 18.30 Uhr vor allem Führungspersonal äußern: die Parteisprecherinnen Gunda Röstel und Antje Radcke, Kerstin Müller und Rezzo Schlauch vom Fraktionsvorstand, die Minister Joschka Fischer, Jürgen Trittin und Andrea Fischer und die Ausländerbeauftragte Marieluise Beck. Eine Viertelstunde ist pro Rede vorgesehen, allerdings soll die Prominenz gebeten werden, sich etwas kürzer zu fassen. Nur Joschka Fischer wird eine halbe Stunde eingeräumt. Es gehe auf dem Parteitag schließlich vor allem um das Europaprogramm, heißt es dazu im Bundesvorstand. Dazu solle der Außenminister dann doch auch etwas sagen.

Das Programm für die Europawahlen ist jedoch zum Zeitpunkt seiner Rede bereits verabschiedet. Am Freitag abend sollen die Delegierten dem Entwurf ihren Segen geben. Größere Kontroversen werden in diesem Zusammenhang nicht mehr erwartet, nachdem für strittige Passagen vor allem im Zusammenhang mit der europäischen Verteidigungspolitik Kompromißformeln gefunden worden sind. Die meiste übrige Zeit wird für die verfahrenstechnisch komplizierte Aufstellung der Kandidatenliste für die Europawahlen gebraucht. Beschlossen werden soll außerdem das Verfahren für die Bestimmung der EU-Kommissarin, deren Benennung den Grünen laut Koalitionsvertrag zusteht.

Für die Medien sind langwierige Stimmauszählungen wenig attraktiv. Sie werden ihr Augenmerk daher vor allem auf die Diskussion zur Lage der Partei richten. Dieser Effekt ist bei den Befürwortern einer Strukturdebatte durchaus erwünscht, und so haben sie denn auch dafür gesorgt, daß er eintritt: Der Ablauf des Parteitages ist ein Punktsieg des Regierungslagers. Er wurde nicht, wie sonst üblich, vom Bundesvorstand in eigener Regie festgelegt, sondern kam nach langen und kontroversen Diskussionen des grünen Koalitionsausschusses zustande.

Der Bundesvorstand hält mit seiner ungewöhnlich geschlossenen Kritik nicht hinter dem Berg. „Überflüssig“ findet Parteisprecherin Antje Radcke derzeit die Strukturdebatte. „Wir beschäftigen uns nur mit uns selbst und haben nicht mehr den Blick dafür, was eigentlich los ist. Und das finde ich verheerend.“ Ihre Kollegin Gunda Röstel meint, es gehe jetzt um die „Grunderneuerung“ der Partei, die sie „ganz explizit nicht auf die Strukturdebatte reduzieren“ möchte. Und der Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer hält es „immer für unglücklich, etwas auf die Tagesordnung zu setzen, was man gar nicht lösen kann“. Für satzungsändernde Anträge sei die Frist ohnehin längst abgelaufen, auch sei den Kreisverbänden gar keine Zeit geblieben, sich auf die Debatte vorzubereiten.

Eine Diskussion über inhaltliche Fragen findet Bütikofer angesichts der Probleme der letzten Monate weit dringlicher als eine Strukturdebatte: „Ich bin immer noch überzeugt: Der Kern der Politik ist die Politik und nicht die Organisation.“ Diese Position findet auch in Teilen der Bundestagsfraktion strömungsübergreifende Zustimmung. Der ehemalige parlamentarische Geschäftsführer Werner Schulz fragt sich, ob hier nicht „ein Nebenkriegsschauplatz“ eingerichtet wird. „Die Doppelspitze ist nicht der Grund, warum wir in Hessen die Wahl verloren haben!“ zürnt die Bundestagsabgeordnete Claudia Roth. Die Strukturdebatte sei „zur Unzeit angestoßen“ worden. Wichtig sei jetzt vielmehr, sich zu fragen, „wie in dieser Koalition grünes Profil gezeigt“ werden könne.

Die Strukturdebatte mit der politischen Diskussion über ein neues Grundsatzprogramm zu verbinden, fordert ihre Fraktionskollegin Angelika Beer. Sie sieht die Gefahr, daß „die Partei abgekoppelt wird vom inhaltlichen Diskurs“, und fürchtet jetzt auch um die Frauenquote. Zu behaupten, um die Quote gehe es gar nicht, sei „scheinheilig“. Dem widerspricht Jürgen Trittin: „Die Quote hat sich bewährt.“ Die lasse sich aber auch mit anderen Modellen als der Doppelspitze beibehalten. Er plädiert aus Gründen der innerparteilichen Demokratie für eine organisatorische Reform: „Die komplizierte Struktur hat nur dazu geführt, daß die Bedeutung der informellen Gremien gewachsen ist.“

Hinter vorgehaltener Hand räumen auch manche der Bündnisgrünen Mängel der gegenwärtigen Struktur ein, die das öffentlich nicht äußern mögen. Aber die Sorge ist groß, daß mit der Diskussion über die Organisationsform von inhaltlichen Problemen abgelenkt werden soll. „Ich würde gern aus der Debatte die Schärfe rausnehmen“, sagt der Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir. Die Struktur sei reformbedürftig, aber sie „ist natürlich nicht das einzige Problem, das wir haben“.