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Der Resident und sein Heimatblatt

Auch an fremden Gestaden rauscht der deutsche Blätterwald: Deutschsprachige Zeitungen im thailändischen Pattaya und an der spanischen Costa del Sol beliefern die Sonnenemigranten mit leichtem, manchmal aber auch sehr merkwürdigem Lesestoff  ■ Von Christel Burghoff und Volker Klinkmüller

Da staunten die deutschen Urlauber in Pattaya nicht schlecht: Daß das quirlige Seebad an Thailands Ostküste in der Heimat regelmäßig für Negativschlagzeilen sorgt, hatten sie ja schon vorher gewußt. Aber daß nun auch Adolf Hittler unter ihnen weilen sollte – das mochten sie nun gar nicht glauben. Doch es stand ganz groß und unübersehbar auf der Titelseite des Farang-Magazins, der erfolgreichsten deutschen Urlauberpublikation in Thailand. Und wer dem vermeintlichen Führer leibhaftig begegnen wollte, hätte abends nur im Heurigenlokal „Bacchus“ vorbeischauen müssen. Denn in seiner Stammkneipe präsentierte sich Adolf Hittler (wohlgemerkt, mit Doppel-t!) als das, was er ist: ein 61jähriger, völlig harmloser und geselliger Frühpensionär aus Tirol, der hier bereits zum fünften Mal überwintert. Seinen angeborenen Namen hat er aus konsequenter Familientradition behalten. Von rechtsradikalem Gedankengut jeglicher Art pflegt er sich strikt zu distanzieren!

Doch Farang in Pattaya ist nur eine von vielen deutschsprachigen Publikationen und die Hittler-Story nur eine von zahlreichen unglaublichen, zuweilen amüsanten, zuweilen todernsten Artikeln, mit denen Feriengäste, Langzeittouristen oder Dauerurlauber (sogenannte expats oder residents) regelmäßig beglückt werden. Seit die Deutschen (und nach ihnen die Österreicher und Schweizer) in den siebziger Jahren das ehemalige Fischerdorf als Urlaubsziel entdeckt haben, führen sie die Statistik der europäischen Touristen an. Thailand und ganz besonders Pattaya dürfen sich wohl rühmen, nach Mallorca eine der größten deutschen Auslandsgemeinden zu beherbergen.

Wer die Anzeigen der deutschsprachigen Publikationen studiert, wird das schnell ermessen können: Da sind zuallererst die zahlreichen deutschsprachigen Restaurants, die ins Auge fallen und unter heimatlich klingenden Namen wie „Alt Heidelberg“, „Haus München“, „Deutsches Haus“, „Zeppelin“, „Bierkutsche“, „Schmittchen“, „Hühner Hugo“ oder „Formel eins“ zu deftiger Hausmannskost bitten. Das steinerne Festzelt des „Bavaria HouseII“ lockt nicht nur mit Schweinshaxe und Bauernvesper: Unter Neuschwansteingemälden servieren Kellnerinnen im Dirndl Maßbier, während die Thai-Kapelle in Lederhosen zünftige Blasmusik schmettert oder Schuhplattler tanzt. Jeden Abend brechend voll mit Deutschen ist das riesige Restaurant immer zu den mehrwöchigen Gastspielen der „Alpen Yuppies“, die wohl als bekannteste und beliebteste Gaudi-Band des Münchner Oktoberfests bezeichnet werden dürfen.

Inzwischen gibt es auch immer mehr deutsche Braumeister, die es in das Land des Lächelns zieht. Unter ihrer Aufsicht wird landesweit nun schon in fast zehn Mikrobrauereien Gerstensaft nach deutschen Qualitätsansprüchen gegärt. Seit kurzem wirbt sogar ein deutscher „Mr. Cheese“ für den Absatz seiner Käseprodukte und hat damit eine der letzten kulinarischen Marktlücken von Pattaya gefüllt. Aber damit nicht genug: Mehrere Hotels, Pensionen und jede Menge Bier- oder Go-go-Bars befinden sich in deutschem Besitz oder unter deutschem Management. Es gibt deutschsprachige Tauchschulen, Fitneßcenter, Go-Kart- Rennstrecken, Videotheken, Reisebüros, Versicherungsagenturen, neuerdings sogar einen deutschen Laden für Golfzubehör und eine Art Aldi-Kette. Und immer wieder sind es deutsch geführte Zahnarztpraxen und Dentallabors, Immobilienbüros und Handwerksbetriebe, die zu den beständigsten Inserenten der Publikationen gehören. Letztere haben sogar schon ganze Siedlungen aus dem Boden gestampft, die ausschließlich von Deutschsprachigen bewohnt werden. Man bleibt eben gern unter sich und fühlt sich so ganz daheim.

Die deutsche Presselandschaft in Pattaya ist in ständiger Veränderung. Mit einer gewissen Regelmäßigkeit fühlen sich Drucker, Anzeigenverkäufer oder Journalisten aus Deutschland berufen, sich hier mit eigenen Tages-, Wochen- oder Monatsblättern zu versuchen. Einige Produkte – wie Spiegelbild oder Welt im Bild – gehören längst wieder der Vergangenheit an, die Südostasien-Zeitung, der Farang, das Magazin oder das Ferien-Magazin zählen zu inzwischen etablierten Blättern, während die Zukunft von Euro-News oder Sport aktuell noch in den Sternen steht. Die mit Abstand erfolgreichste Neugründung ist der Eiermann – mit landestypischen Erlebnisberichten, schlüpfrigen Neuigkeiten aus dem Nachtleben und saublöden Witzen.

Laut offiziellen Angaben des Statistischen Bundesamtes hat sich die Zahl der jährlich nach Thailand ausgewanderten Deutschen seit 1988 mehr als verdoppelt. Allein 1997 haben sich fast siebenhundert Bundesbürger – wahrscheinlich aber nur ein Bruchteil der tatsächlichen Anzahl – für die neue Heimat in den Tropen entschieden. Davon waren fast achtzig Prozent Männer, was berechtigterweise Rückschlüsse auf die Motivation zuläßt: Viele Deutsche fühlen sich in Thailand nicht nur daheim, sondern gründen mit einheimischen Frauen neue Familien. Wen kann es da also verwundern, wenn es in den deutschsprachigen Gazetten gleich seiten- oder sogar serienweise um die Reize und Unzulänglichkeiten der Thai-Frauen geht...

Was den LeserInnen der Gazetten normalerweise verborgen bleibt: Nicht gerade selten erhalten die Blattmacher in Pattaya „hohen Besuch“ von professionellen Kollegen aus Deutschland, die vor Ort nur allzugern nach Schmuddelgeschichten buddeln. Denn das Negativimage der Stadt braucht Unterfütterung.

Doch Pattaya ist jenseits von Skandalen und Skandälchen auch eine lebenslustige Stadt, wie in den illustren Interviews des Farang-Magazins immer wieder betont wird. So schwärmt etwa der Berliner Travestiestar Harry Toste, „Straps-Harry“ gerufen und wegen seiner Parodien der alten Zarah Leander geschätzt, auch mit seinen 92 Jahren noch von der Touristen-Metropole. Das gleiche gilt für Deutschlands bekannteste Ex-Hure Domenica, die in Pattaya das Gebaren einheimischer Liebesdienerinnen studierte, sich ansonsten pudelwohl fühlte und überlegte, hier einen Ableger ihrer Szenekneipe vom Hamburger Fischmarkt zu eröffnen.

Zumindest Adolf Hittler dürfte mit seinem Interview in die Annalen des deutsch-thailändischen Blätterwaldes eingehen. Dafür sorgt schon eine Anekdote, die er der Leserschaft zum besten gab: „In den sechziger Jahren“, so Pattaya-Langzeiturlauber Hittler, „habe ich mich bei einem Stauwerk beworben. Wir waren damals zu dritt, und man fragte uns nach den Namen.“ Als sich der eine Mitbewerber mit seinem tatsächlichen Namen, „Toni Sailer“, und der andere ganz ehrlich als „Andreas Hofer“ vorgestellt hatte, fühlte sich der Chef bereits auf den Arm genommen. „Aber als ich dann ganz vorsichtig meinen eigenen Namen genannt habe, da hat er uns einfach alle rausgeschmissen.“ Volker Klinkmüller

Die Zeitung nennt sich Costa Blanca Nachrichten, kurz CBN, und ist gewichtig: satte 196 Druckseiten stark. Sie gehen an 28.000 LeserInnen – von denen nicht wenige, wie Mitarbeiter der deutschen Zeitung vermuten, von der ersten bis zur letzten Seite alles lesen. Denn „irgendwann ist das Haus ja gebaut und der Garten angelegt. Und dann hat man Zeit, unendlich viel Zeit“, so Anna Ern, die Redaktionsleiterin.

Wir sind in Benissa in der Nähe von Benidorm, dessen verwegene Hochhausskyline zu dem Symbol für touristische Massenflucht in den Süden geworden ist. Hier an der „weißen Küste“ haben viele Menschen mehr Zeit, als ihnen vielleicht lieb ist. Ihre gehegten und gepflegten Bungalows prägen das Landschaftsbild, die Täler sind dicht bebaut, auch die steilen Hänge. Die Urbanisation zieht sich über Bergrücken bis weit ins Hinterland hinein. Der Anteil der Deutschen an den gutbetuchten Mitteleuropäern ist zwischen Valencia und La Manga besonders hoch. Offiziell sind 3.800 Deutsche gemeldet, aber in Wirklichkeit sollen es 70.000 sein. Die Satellitenschüsseln, der Bäcker ums Eck, der deutsche Installateur zeugen vom Wunsch, sich auf immer häuslich niederzulassen. Genauer: hier den Lebensabend zu verbringen.

Die deutsche Zeitung hat sich als ein Sprachrohr deutscher Nöte und Bedürfnisse im Ausland profiliert. Weil die sich fast ausschließlich um Pool, Garten, Steuern, Arrangements innerhalb der Erschließungen, um Sickergrube, Fenster, Heizung und die vielen anderen Immobilienthemen drehen, werden sie von der Zeitung auch mit den entsprechenden Neuigkeiten über Wärmepumpen und Klimaanlagen bedient. Allein der Immobilienteil ist über fünfzig Seiten dick und extra gebunden. „Wie lese ich meine spanische Strom- und Wasserrechnung?“ ist regelmäßiges Pflichtthema für die Redaktion.

Das deutsche „Homeland“ inmitten von Spanien ist auch Erfolgsland für Projekte wie die deutsche Zeitung: Mit knapp vierzig Mitarbeitern ist sie einer der Großbetriebe in der Gegend. Seit 25 Jahren erscheint sie einmal wöchentlich, seit gut zwei Jahren gibt es ihr Gegenstück für die Costa del Sol in Andalusien, die CSN. Man bewegt sich geradezu symbiotisch unter den „Residenten“. Und das, sagt Anna Ern, sei zum Teil gewollt: „Wir nehmen eine gewisse sozialtherapeutische Funktion wahr.“ Sie verweist auf die Wohnsituation in den Stadtsiedlungen, denn da falle innerhalb der abgegrenzten Gebiete noch die Abgrenzung unter den verschiedenen Nationalitäten auf. „Die Residenten leben isoliert. Vom Sprachfeld drum herum bekommen sie nichts mit.“

Manchmal allerdings wird auch der Pfarrer ins Spiel gebracht. Denn die Paradiese an Europas Sonnenküsten haben einige Risse – und vielfach ähnliche Probleme wie Altenheime. „Wer vor zwanzig Jahren im Rentenalter auswanderte, ist heute so um die achtzig“, betont die Zeitungsfrau. Pflegefälle, die europaweite Pflegeversicherung – alles Themen, die die Residenten in ihrer Zeitung demnächst nachlesen können. Weitere von der Leserschaft gewünschte Inhalte: Was man tut, wenn der Hund Durchfall hat; wo man zu Weihnachten, wenn die Enkel kommen, Schlitten fährt; wo man sich denn, bitte schön, beschweren kann, wenn der Strom ausfällt; wie man den Nachbarn zwingt, die schöne große Kiefer zu fällen, deren Wurzeln bis unter die Mauer des eigenen Anwesens reichen.

In solchen Fällen rufen die LeserInnen einfach mal in der Redaktion an. Denn hier holt man sich Rat für jede Lebenslage. Und begleitet im Gegenzug die Zeitung bis in die Sprachwendungen. „Auch Sie sollten mit gutem Beispiel vorangehen, damit unsere deutsche Sprache nicht völlig zu einem karibischen Pidgin-Deutsch beziehungsweise Schimpansengefasel degeneriert wird“, ereifert sich ein Leserbriefschreiber der CBN im Kampf gegen Anglizismen. Gerade im „Homeland“ sind deutsches Denken, Fühlen und Handeln mitunter puristischer anzutreffen als im kühlen Norden.

Offen ist allerdings, ob und wie es sich politisch Luft macht. Wie die Residenten wohl wählen werden, wenn ihnen demnächst das Kommunalwahlrecht zusteht? An der politischen Landschaft werde sich nichts ändern, meint die Zeitungsfrau. Sichtbar ist nur eines, nämlich ihre Zurückhaltung und der Wille, bloß nicht aufzufallen. Man lebt hier für und unter sich. Die Bindung der Residenten ans Land ist ökonomisch begründet. Und individualistisch. Das Homeland riecht nach Reichtum, aber nicht mehr nach dem Imperialismus des letzten Jahrhunderts. Aber auch die deutsche Zeitung umgeht alles, was politisch interpretierbar ist. Sie vermeidet Meinungsartikel, die auch nur im geringsten politisch sind.

Allerdings steht eine stärkere Öffnung für mehr nationale Berichterstattung an. Die LeserInnen wünschten sich das, weiß die Redakteurin. Man will mehr vom Land wissen. Man wird heimischer. Niemand, der das Sonnenland gern verläßt – auch nicht innerhalb der Redaktion. „Die Lebensbedingungen sind einfach attraktiver.“ Da ist sich Anna Ern sicher. Ob ich schon auf der Baustelle war, werde ich gefragt. Die Costa Blanca Nachrichten bauen gerade an einem weiteren Verlagsgbäude. Man expandiert. Christel Burghoff

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