Ans Paradies gekettet

Bávaro Beach ist ein wahrer Traum. Hier ist alles inklusive: Spiel, Spaß, Sport und schönste Strände. Eine streng abgeschirmte Katalogidylle, weit weg von der Realität der Dominikanischen Republik  ■ Von Thomas Pampuch

Es ist Nacht, als wir in Bávaro Beach an der Ostküste der Dominikanischen Republik ankommen. Wir haben ein paar Stunden Fahrt von Santo Domingo hinter uns. Auf dem Weg haben wir ein paar hübsche Städtchen gesehen, dazu Casa de Campo, die feinste Villensiedlung der Republik mit eigenem Hubschrauberlandeplatz für die VIPs, und ein synthetisches andalusisches Dorf, Altos de Chavon, gebaut von einem Spezialisten für Hollywoodkulissen. Wir haben auch die Schäden inspiziert, die der Hurrikan „George“ im letzten September angerichtet hat. Die bunten Häuschen auf der Isla Saona zum Beispiel, die in jedem Reiseführer der Dominikanischen Republik zu sehen sind, haben etwas gelitten. Die Wellblechdächer sind weg. Jetzt hat man die Holzhäuschen mit Stroh gedeckt. Das sieht sogar noch hübscher aus. An vielen Hütten wird noch gearbeitet. Die meisten Palmen sind umgeknickt.

Bald werden die Touristen wieder auf die Nebeninseln kommen – so erhoffen es wenigstens die einheimischen Standbesitzer auf Saona. Sie leben von den Ausflüglern aus den „All inclusives“, die bis vor kurzem täglich in Scharen für ein paar Stunden in Saona einfielen. Derzeit aber bleiben die meisten Touristen in ihren Ressorts, denn dort sind die Schäden ganz schnell beseitigt worden.

Bávaro Beach ist die größte Ferienanlage der Karibik. Der Name klingt im Spanischen nach Bayern. Irgend etwas hat die Anlage auch mit einem Freistaat zu tun. Der Strand liegt in einem weitgehend menschenleeren Gebiet der Insel Hispaniola. In den achtziger Jahren überflogen die Brüder Barceló, ihres Zeichen spanische Hotelbesitzer, die Gegend um Punta Cana und entdeckten den Strand, die Palmen und das kristallklare Wasser. 1985 eröffneten sie dort das erste Hotel – das Barceló Bavaró Beach. Inzwischen sind vier weitere Hotelkomplexe dazugekommen: Garden, Casino, Golf und Palace. Betten für insgesamt viertausend Gäste.

Wer den Schlagbaum passiert, läßt die Dominikanische Republik hinter sich und landet in einer Art Truman-Story-Welt. Alles ist nur für uns gemacht. 2.500 Angestellte arbeiten in den Bávaro-Anlagen. Fast die Hälfte von ihnen wohnt auch hier, die anderen kommen täglich aus Higuey, der nächsten Stadt, ungefähr vierzig Kilometer entfernt im Landesinneren gelegen und nicht unbedingt eine Perle der Karibik.

Genau das aber ist das Bávaro Beach Ressort. Selten decken sich die Reisekatalogbilder so mit der Realität. Vielleicht, weil diese Realität von Ferienspezialisten geschaffen wurde – und täglich neu geschaffen wird. Das gilt selbst für den Strand. Am Morgen bei Sonnenaufgang reinigt eine ganze Gruppe von Angestellten den Strand. Meter für Meter befreien sie den weißen Sand von allen Verunreinigungen. Dabei sind Zigarettenkippen oder irgendwelche Plastiktuben das wenigste. Auch jedes Blatt, jeder Seetang wird auf den Müllwagen geladen. Wenn die Strandbesucher von ihren üppigen Frühstücksbuffets kommen, liegt der Strand fotogen da: so wie er im Karibik-Fernreisekatalog prangt. Dort steht es weiß auf azurblau: „Willkommen im Paradies. Sie fühlen den weichen, weißen Sand unter ihren Füßen. Vom Meer her weht eine sanfte Brise und die Sonne blitzt durch die Palmen. Vor Ihnen dehnt sich ein herrlich-blauer Tag bis zum Horizont...“

Im Paradies mangelt es an nichts: „In ihrem All-inclusive-Hotel warten eisgekühlte Drinks, leckere Spezialitäten vom Buffet und tausend und eine Ferienmöglichkeiten auf Sie.“ Auch das stimmt. In Bávaro wird derart viel an Sport, Show, Animation, Essen und Trinken geboten, daß manche Gäste nach ein paar Tagen gestreßt wirken. „Manche können am Abend gar nicht mehr“, berichtet die Sales-Managerin Heike Klein, die uns mit einem Golfwägelchen das riesige Areal zeigt: Am Beach übt man sich in Aerobic, am Pool jagt ein Drink den nächsten. In den Restaurants kann man à la carte oder am Buffet schlemmen; es gibt Tauchkurse, Beach-Barbecues mit vorherigem Reiten, jeden Abend „Tropicalissimo“ und vier andere Animationsshows, Casino, Theater, zwei Diskos. Alles inklusive – bis auf die ausländischen Drinks und Langusten. Einziger Preis: Jeder Gast muß eines dieser lächerlichen Plastikbändchen am Arm tragen. Tag und Nacht. Nur das Bändchen garantiert ihm, daß er immer verwöhnt wird.

Zugegeben, nicht alle All inclusives sind so durchgestylt. Nicht alle liegen so paradiesisch, und nicht alle bieten soviel. In Punta Bonita bei Las Terrenas auf der Halbinsel Samaná – Gott sei Dank immer noch ein Geheimtip – sagte uns der Betreiber einer anderen, viel kleineren Anlage, die nur Halbpension hat: „Bei uns dürfen sich die Leute noch selbst animieren. Aber das scheint aus der Mode zu kommen.“ Unglücklicher sehen die Leute in Punta Bonita nicht aus.

Trotzdem: Wer nicht im Paket in die Karibik fährt, ist entweder reich, Individualist oder blöd. Schlauberger und Preisvergleicher schaffen zwei Wochen für etwa 1.500 Mark, manchmal sogar für noch weniger. Ein normaler Flug auf die Inseln kostet – ohne Hotel und Essen – genausoviel. Die Dominikanische Republik hat ungefähr fünfhundert Kilometer Traumstrände. Und auch der Rest, noch einmal tausend Kilometer, ist ansehnlich. Gar nicht zu reden vom Inland, das die Republik selbst ohne Strände noch zu einem absolut lohnenswerten Reiseziel machen würde. Es ist, als hätte man die Schweiz mit Hawaii gekreuzt und das Produkt im Karibischen Meer ausgesetzt. Eine Trauminsel. „Das schönste Land, das menschliches Auge je erblickt hat“, meinte schon Christoph Kolumbus, der Hispaniola als erster Europäer betrat. Und doch hat die „Dom Rep“ so ziemlich den schlechtesten Ruf aller karibischen Feriendestinationen: Sie gilt als „Abzokkerinsel“, die mit Billigtourismus, Prostitution und Banditentum überschwemmt ist. All inclusive bietet Sicherheit, Heimeligkeit und Komfort zu Preisen, für die man in Niederbayern nicht einmal zwei Wochen verbringen könnte. All inclusive läßt den gemeinen Mitteleuropäer am Standortvorteil hübsch gelegener Billiglohnländer teilhaben. Die Einheimischen sind Dienstboten oder Folkloredarsteller; das sind die Schuhplattler im Hofbräuhaus auch, nur bekommen die bessere Löhne. Wenn abgezockt wird, dann von den Tourismusunternehmen und ihrer Kundschaft.

Wer 1.500 Mark für zwei Wochen Paradies bezahlt, ist schlechterdings kein Opfer. Daß die Einheimischen gelegentlich versuchen, durch Souvenirverkauf und private Dienstleistungen jeder Art auch ein bißchen was vom Kuchen abzubekommen, versteht sich von selbst. Mit Paradiesen lassen sich heutzutage gute Geschäfte machen. Und wenn die Dominikaner schlau sind, dann sollten sie die Gelegenheit nutzen und von TUI, Neckermann, Bávaro und all den anderen lernen, wie sie ihr Paradies selbst vermarkten.

Natürlich profitieren die Einheimischen auch heute schon ein bißchen von den Ressorts, als schlechtbezahltes Personal. Über neunzig Prozent der Angestellten in Bávaro sind Dominikaner – ebenso wie die meisten Lieferanten für die 6.500 Leute in Bávaro. Die Ferienanlage ähnelt damit jenen „Zonas Francas“ der Republik, in denen ausländische Firmen zoll- und steuerfrei produzieren können. Ein südamerikanischer Journalist hat diese Art der Einbindung in den Weltmarkt so beschrieben: „Es gibt nur eins für die Leute in armen Ländern, was schlimmer ist, als ausgebeutet zu werden: nicht ausgebeutet zu werden.“

Higuey jedenfalls wäre ohne Bávaro Beach gewiß ein noch viel traurigerer Ort. Manche der einheimischen Angestellten des Ressorts gehen abends nach dem Dienst noch in die zentrale Merengue- Disko der Anlage. Da dürfen sie dann tanzen, und die Pauschaltouristen schauen zu und erleben Land und Leute unter der All- inclusive-Käseglocke. Mehr wollen sie meist nicht. Die Mehrzahl der Dominikaner bevorzugt ohnehin die normale Disko nebenan.

Ein Treffen von Touristen und Einheimischen auf gleicher Ebene ist nicht inklusive. Auf dem Handzettel, den jeder Gast im Bávaro mit dem Schlüssel bekommt, steht eine Empfehlung der Hoteldirektion: „Vorsicht!!! Wenn Sie sich am Strand befinden und sich Ihnen eine fremde Person nähert... Trauen Sie niemandem!!! Kaufen Sie nichts. Nehmen Sie keine Geschenke an. Lassen Sie sich unter keinen Umständen aus dem Hotel befördern.“ Wer das bunte Hundebändchen trägt, ist ans Paradies gekettet. Und wer es verläßt, ist selbst schuld.

Es gibt vermutlich nur eins, was schlimmer ist, als nicht im Paradies zu sein: dauernd im Paradies zu sein.

Thomas Pampuch lebt als freier Autor in München