Hessens Grüne wollen irgendwie wieder Spaß haben

■ Nach dem Wahldebakel herrscht bei den hessischen Bündnisgrünen weitgehende Ratlosigkeit. Die Alten treten ab, und die Jungen wollen weg vom angeblichen Image der Verbotspartei

Frankfurt/Main (taz) – Die Artisten unter der Zirkuskuppel sind ratlos. Tom Koenigs (52), Umweltdezernent in Frankfurt und bis zur Amtsenthebung durch Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) auch Kämmerer der Stadt, stellt sein Amt als Landesvorstandssprecher zur Verfügung. Die graue Eminenz der Partei, der bis zum Regierungswechsel im April amtierende Minister der Justiz und für Europaangelegenheiten, Rupert von Plottnitz (58), will nur noch „einfacher Abgeordneter“ sein.

Hunderttausend Wählerinnen und Wähler haben den Bündnisgrünen in Hessen den Rücken gekehrt: minus 4 Prozent. Das ging an die Substanz. In 19 Wahlkreisen kamen die Bündnisgrünen noch nicht einmal über die Fünfprozenthürde. Hessenweit reichte es gerade noch zu 7,2 Prozent der Zweitstimmen. Die Wut an der Basis auf die „Wiesbadener Profi- Politiker“, wie es in einem Offenen Brief der Fraktion im Stadtparlament von Mörfelden-Walldorf an die noch amtierende Umweltministerin Priska Hinz heißt, ist groß. Fünf grüne Umweltminister in acht Jahren wurden verschlissen; zwei davon mußten nach Affären zurücktreten: Iris Blaul und Margarete Nimsch. Blaul ist inzwischen auch aus der Partei ausgetreten.

Ohne sich Zeit zu lassen, kürte die von 13 auf 8 Sitze geschrumpfte neue Landtagsfraktion die Umweltministerin Hinz kurz nach der Wahl zur Fraktionsvorsitzenden. Ein Affront vor allem gegen die gestandenen Kommunalpolitiker, die in einer Resolution ein „Signal der Erneuerung auch von der Landtagsfraktion“ gefordert hatten. Hinz fuhr in ihrem Wahlkreis (Lahn-Dill) das erbärmlichste aller Wahlkreisergebnisse für die Grünen ein (3,2 Prozent). Elf Monate lang sei die 39jährige Kindergärtnerin Umweltministerin des Landes gewesen; aber gemerkt habe man davon nichts, schimpfte etwa Eduard Bernhard vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU). Auf ihrer ersten Pressekonferenz als Fraktionsvorsitzende vergrätzte Hinz gleich noch die Basis im Flughafenumland. Weil die Ablehnung aller Ausbaupläne auch in den Wahlkreisen der Region keinen Stimmenzuwachs gebracht habe, müsse sich die Partei in dieser Frage neu positionieren, sagte sie.

Nur Hinz habe kandidiert, verteidigt ihr Stellvertreter Tarek Al- Wazir (28). „Hätten wir mit der Wahl noch gewartet, wäre uns doch mangelnde Entscheidungsfreude vorgeworfen worden.“ Al- Wazir gilt als Hoffnungsträger der Partei in Hessen. In der vergangenen Legislaturperiode machte er sich als innenpolitischer Sprecher der Fraktion einen Namen. Der Sohn einer Deutschen und eines Jemeniten ist Student der Politikwissenschaften, und er ist eloquent. Mit dem Ticket der Grünen Jugend Hessen (GJH) kam Al- Wazir 1995 in den Landtag – so wie Matthias Berninger (28) aus Kassel-Land 1994 überraschend in den Bundestag. Berninger scheute sich nicht, den grünen „Übervater“ Joschka Fischer zu kritisieren, dem an der Basis und im „Überbau“ viele vorwerfen, sich seit seinem Abgang nach Bonn 1993 nicht mehr um Hessen gekümmert zu haben. Fischer sei von seiner Partei „zu weit weggeschwebt“, sagte er jüngst dem Spiegel. Gegenüber der taz milderte er seine Kritik ab. Die Landespartei müsse es auch alleine schaffen, sich zu reformieren: „Mit neuen Köpfen; und mit neuem Denken in alten Köpfen.“

Berninger will sich in Hessen einmischen – und Tom Koenigs beerben. Doch damit Berninger Landesvorstandssprecher der Grünen werden kann, muß auf der nächsten Landesversammlung am 20. März in Hofheim wieder einmal eine heilige Kuh geschlachtet werden: die Trennung von Amt und Mandat. „Ich bin zuversichtlich, daß das gelingt“, sagt Berninger. Programmatisch setzt Berninger auf drei Kernthemen: Bildungspolitik, Familien- und Wirtschaftspolitik. Das reizt zu Widerspruch. „Wenn der Umweltschutz noch nicht einmal mehr zu den Kernthemen der Partei zählt, muß das Wort grün aus dem Parteinamen gestrichen werden“, sagt etwa Eduard Bernhard vom BBU.

Doch mit den „angestaubten Themen“, so Al-Wazir, wie dem Kampf gegen die Atomkraft, gegen Umweltzerstörung und Wachstumsfetischismus könne die Partei aber bei den jungen Wählerinnen und Wählern keinen Blumentopf mehr gewinnen.

Berninger und Al-Wazir wollen sich dafür einsetzen, die Grünen vom Image der „Verbotspartei“ zu befreien. Junge Leute gerade in ländlichen Regionen wollten Auto fahren. Und in die Ferien fliegen, sagt Al-Wazir: „Da müssen wir technisch interessante Lösungen anbieten, den ÖPNV stärken und für leisere Flugzeuge kämpfen anstatt immer nur njet zu sagen.“ Klaus-Peter Klingelschmitt