„Der Margot bin ich nicht links genug“

Hans Modrow, letzter DDR-Ministerpräsident, versteht seine Kritiker nicht – er sieht sich als Reformer  ■ Von Patrik Schwarz

Wenn Hans Modrow sich streiten will, muß er nur eine Treppe nach unten gehen. Dort, im Zimmer 108 der PDS-Zentrale im Berliner Karl- Liebknecht-Haus, hat André Brie sein Büro. Was der führende Intellektuelle der Reformfraktion in der PDS zu sagen hat, ist meist geeignet, Modrow die Adern schwellen zu lassen. Seit Monaten läßt Brie, Jahrgang 1950, in Interviews und Reden kaum ein gutes Haar an der DDR. Modrow hingegen, Jahrgang 1928 und nach dem Mauerfall letzter sozialistischer Ministerpräsident der DDR, stellt sich immer wieder schützend vor Staat und Gesellschaft von einst.

Oft macht Modrow den Weg in den ersten Stock nicht. Umgekehrt ist die Zurückhaltung noch größer. Ein einziges Mal, so wird erzählt, habe Brie sich bislang zu einem Gespräch in den zweiten Stock bemüht, wo der Ehrenvorsitzende hinter einem Schreibtisch in bewährtem Ostdesign sitzt.

Morgen treffen die Kontrahenten unweigerlich aufeinander – sie konkurrieren auf dem PDS-Parteitag in Suhl um einen der wenigen aussichtsreichen Listenplätze für die Europawahl im Juni. Damit wird die Begegnung auch zum Kräftemessen zwischen Reformsozialisten und DDR-Nostalgikern.

Im Gespräch über den Parteitag meidet Modrow den Namen Brie ebenso wie die Person Brie im Luxemburg-Haus. „Daß sich in dieser Partei manche darin sonnen möchten, Reformer zu sein, ist ja nicht zu übersehen.“ Modrow lächelt fein. „Was ich nicht sehe, ist, welche Reformen sie vorschlagen.“ Er selbst sei so dogmatisch gar nicht, suggeriert er und erzählt von einem Besuch bei seiner Jugendfreundin Margot Honnecker in Chile. „Der Margot war ich nicht links und konsequent genug.“

Allmählich hat er sich in Fahrt geredet. „Mir kann niemand vorwerfen, daß ich nicht für Reformen sei.“ Beschrieb der Spiegel ihn nicht schon vor 1989 als deutschen Gorbatschow? Und nach dem Mauerfall führte er die DDR zu freien Wahlen. „Meine ganze Politik als Ministerpräsident der DDR war eine Reformpolitik.“

Kurzerhand vereinnahmt Modrow die Runden Tische, die auf Druck der Opposition zustande kamen, heute als eigene Leistung. „Wir hatten Formen der Demokratie und der Beteiligung in einer Qualität, wie sie die Ausschüsse des Bundestages überhaupt nicht kennen.“ Conclusio: „Wir haben doch auch was zustande gebracht. Und das lasse ich nicht einfach wegwischen! Wieso denn?“ Modrow – der wahre Reformer? Er zuckt mit den Schultern, die Arme weit ausgebreitet.

Was kann man machen, soll das heißen, so sind nun einmal die geschichtlichen Fakten, egal, was manche in seiner Partei heute auch sagen. Solche wie Brie zum Beispiel. „Dieser angebliche Sozialismus“, erklärte Brie im Neuen Deutschland, sei „zu Recht“ untergegangen. Die DDR sei in ihrem Anspruch auf Kontrolle der Gesellschaft totalitärer als das Dritte Reich gewesen, die Nazis hätten wenigstens auf Zustimmung der Bevölkerung zählen können. So provokativ wie Brie traut sich niemand in den Reihen der einstigen Einheitssozialisten, die PDS zu kritisieren. Seine Forderung an die Genossen: „Die Partei muß permanent mit sich ins Gericht gehen.“

Im Luxemburg-Haus sah Parteichef Lothar Bisky die Kontroverse mit zunehmender Sorge. Wie zwei Züge würden die beiden Gegener aufeinander zurasen. Wenigstens ein Frontalzusammenstoß auf dem Parteitag sollte verhindert werden. So trafen sich Modrow aus dem zweiten und Brie aus dem ersten Stockwerk auf neutralem Boden – im Zimmer des Bundesgeschäftsführers Dietmar Bartsch im dritten Stock. „Da kam kein Knüppel aus dem Sack“ ist alles, was Modrow zu der Begegnung sagen will. Ergebnis: Brie und Modrow treten nicht für denselben Listenplatz an, doch an den Stimmergebnissen werden sich Sieger und Verlierer trotzdem ablesen lassen. Entsprechend frostig bleibt das Klima. Herr Modrow, hat André Brie das Wohl der Partei im Auge? „Das soll Andre Brie beantworten, nicht ich.“

Gerade viele Junggenossen, die sich eine wildere, buntere und westlichere PDS wünschen, haben für Modrows sozialistischen Altherrencharme wenig übrig. Doch Hoffnungen, der 71jährige könnte seinen Abschied nehmen, sind verfehlt. Zwar habe ihm „Respekt“ abgenötigt, so der Ex-Ministerpräsident, wie aufrecht sein westdeutscher Verhandlungspartner Helmut Kohl die politische Bühne verlassen habe. Für sich selber hat Modrow andere Pläne. Sein Vorbild für ein Altern in Würde lautet nicht Kohl, sondern Friedrich Ebert. Der Oberbürgermeister von Berlin Hauptstadt der DDR, gab 1967 seinen OB-Posten ab, blieb aber in Volkskammer und Staatsrat aktiv, erzählt Modrow. „Und dort hat er bis ans Ende seines Lebens politisch gewirkt.“