Entschädigung der Zwangsarbeiter mit vielen Fragen

■ Am Wochenende verhandelt das Kanzleramt erneut über die Entschädigung von Zwangsarbeitern mit dem US State Department. Experte Niethammer reist nach Osteuropa

Berlin (taz) – Nützliche Betriebsamkeit in Einzelfragen, anhaltende Unklarheit in Grundfragen. So könnte man eine Zwischenbilanz in Sachen Entschädigung für Zwangsarbeit während des NS- Zeit übertiteln. Wie soll der beschlossene Fonds großer privater deutscher Unternehmen zur Entschädigung der Zwangsarbeiter aussehen, in welchem Verhältnis soll er zu einer möglichen Bundesstiftung stehen? Und zuletzt: Dürfen die Einzahlungen in den Fonds von der Steuer abgesetzt werden?

Kanzleramtsminister Bodo Hombach wird sich als „Moderator“ dieses Wochenende in Bonn ein weiteres Mal mit Stuart Eizenstatt, dem Unterstaatssekretär im US State Department und Experten für Entschädigungsfragen, treffen. Wieder wird es um die „Rechtssicherheit“ gehen. Gemeint ist damit die Gewißheit für die deutschen Fondsteilnehmer, daß sie nicht zweimal zahlen müssen: einmal in den Entschädigungsfonds und zum zweitenmal im Rahmen von „class actions“, Sammelklagen gegen deutsche Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigten. Von einem deutschen Gesetz, das Doppelansprüche ausschließt, über eine Verpflichtungserklärung einzelner ehemaliger Zwangsarbeiter, sich auf den Fonds zu beschränken, bis hin zu verbindlichen Erklärungen von Organisationen und Anwälten, auf künftige Klagen zu verzichten, sind alle Varianten im Spiel. Interessen prallen aufeinander: Die in den USA tätigen Firmen wollen rasche, verbindliche Erklärungen, ebenso – im Interesse ihrer betagten Klientel – die Opferverbände wie der Jewish World Congress. Die Anwälte hingegen sind darauf eingestellt, durch die Instanzen zu gehen. Schließlich kassieren sie 25 Prozent Erfolgshonorar. Schwierig auch die Lösung der Frage, ob und wie im Rahmen des Fonds künftige Ansprüche behandelt werden sollen, die aus der „Arisierung“ jüdischen Eigentums stammen. Betroffen wären in erster Linie die Großbanken und die „Allianz“. Für diese Institute könnte sich, falls eine Ausschlußklausel zustande kommt, die Beteiligung am Fonds als billiger Jakob erweisen. Hier liegt ein Vorschlag des US- Experten Hausfeld vor, der im Rahmen des Fonds einen Arisierungs-Sonderfonds vorsieht.

Auch der Zeithistoriker Lutz Niethammer, der sich als Gutachter um die Sache der Zwangsarbeiter verdient gemacht hat, ist dieses Wochenende unterwegs – nach Osteuropa. Er wird in Polen, Tschechien und eventuell den drei betroffenen GUS-Staaten mit Vertretern der Stiftungen zusammentreffen, die unter der Kohl-Regierung begründet und finanziell ausgestattet wurden. Hierbei wird es auch um die Frage gehen, wie hoch der Anspruch der Ost-Zwangsarbeiter sein und wer die Prüfung und Auszahlung übernehmen wird. Die Schwierigkeit besteht darin, daß es schon zu antisemitischen Reaktionen angesichts von versprochenen Entschädigungszahlungen für verfolgte osteuropäische Juden gekommen ist. Die nichtjüdischen Zwangsarbeiter verlangen Gleichbehandlung. Würde aber nach dem Modell der VW-Entschädigung verfahren werden (10.000 Mark pro Zwangsarbeiter), wären die Zahlungen höher als für jüdische KZ-Opfer, die, z.B. wegen ihrer ruinierten Gesundheit, 2.500 bis 3.000 Mark erhalten haben. Falls letztere Summe zugrunde gelegt würde, wäre die Differenz zu den „westlichen“ Auszahlungen (nach dem VW- Modell) zu hoch, mithin ungerecht. Günther Saathoff, Entschädigungsexperte der Grünen, plädiert seit längerem für ein differenzierendes Vorgehen, mit einer Skala von Zwangsarbeit im Rahmen der KZs bis zur Arbeit in der Landwirtschaft. Fraglich ist auch, ob den in Ostmitteleuropa und der GUS tätigen Stiftungen die Verteilung über die Gelder aus dem Fonds übertragen werden sollen. Hier gibt es starke Einwände seitens der Opfer und Opfergruppen.

Problematisch ist zudem die Aufteilung des Fonds, 50:50 zwischen Entschädigung und Zukunftsaufgaben. Wer würde profitieren? Ist eine solche Aufteilung vertretbar angesichts der viel zu knapp ins Auge gefaßten drei Milliarden? Am Zustandekommen der Bundesstiftung für die nicht von der Industrie „erfaßten“ Opfergruppen wird jetzt wieder gebastelt. Was heißt aber, daß der Industriefonds, wie Hombach sagte, an diese Stiftung „angedockt“ werden soll? Klar scheint nur: Die Bundesregierung wird nicht zahlen. Aber Schröders Leitlinie, „die Wiedergutmachung ist abgeschlossen“, ist vage genug für einen Rückzieher. Der Entscheid über Staatsmittel für eine Bundesstiftung liegt jetzt beim Bundestag. Christian Semler