Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus

■ Wie es zum Freispruch des US-Todespiloten Captain Ashby durch ein Militärgericht kam

Washington (taz) – Nur sieben Stunden brauchten die acht Geschworenen, alles Marineoffiziere, um im Camp LeJeune im Bundesstaat North Carolina ihren Kameraden Captain Richard J. Ashby von allen Anklagepunkten freizusprechen. Und das, obwohl Captain Ashby am 3. Februar 1998 bei einem Tiefflug in den italienischen Alpen seine Maschine schneller und niedriger geflogen hatte als erlaubt, so daß er die Seile einer Gondelbahn durchtrennte und 20 Skifahrer in den Tod riß. US-Zeitungen berichten, daß die anwesenden Angehörigen des Piloten bei der Urteilsverkündung Freudenschreie ausstießen, während die aus Europa angereisten Angehörigen der Verunglückten mit steinernen Gesichtern dasaßen.

„Wir haben in Deutschland ein Sprichwort“, wandte sich Sindy Renkewitz aus Deutschland an die Presse: „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.“ Sie hat ihren Vater und ihre Schwester verloren. Militär verurteilt eben nicht Militär. Was, so fragte das Magazin Slate, haben der US-Abschuß einer iranischen Passagiermaschine 1988, die „freundlichen“ Raketenangriffe auf alliierte Truppen im Golfkrieg 1991, sexuelle Übergriffe von Marine-Offizieren und der Abschuß zweier US-Hubschrauber durch die US-Luftwaffe über dem Irak gemeinsam? Die Militärgerichtsbarkeit fand in keinem der Fälle einen Schuldigen. Und jetzt eben auch nicht. Die Absetzung des verantwortlichen Geschwaderkommandanten und eine Rüge für den Sicherheitsbeauftragten des Geschwaders scheinen die einzigen Strafen für den Tod von 20 Menschen zu sein.

Der Ausgang des Verfahrens deutete sich schon bei den Vorermittlungen an. Einer der vernehmenden Offiziere hatte damals gesagt, es würde schwer sein, einen der Piloten zu verurteilen, weil das Unglück auf eine Kette von Versagen zurückgeht, für das viele verantwortlich seien. Der Verteidiger Ashbys, Frank Spinner, kritisierte, daß es überhaupt zu dem Verfahren gekommen war. Die Marine habe sich politischem Druck gebeugt und einen Sündenbock für Fehler gesucht, die der Waffengattung und deren Führung insgesamt angelastet werden müßten.

Während die Anklage im Prozeß zu zeigen versuchte, daß Ashby sich wie ein tollkühner Raser verhalten hatte, argumentierte die Verteidigung, daß Piloten für Flüge, bei denen sie unter den Berggipfeln fliegend vom feindlichen Radar verborgen bleiben sollen, unzulänglich ausgebildet und instruiert seien und mit ungenauen Karten ausgestattet seien, in die zum Beispiel die Seilbahn nicht eingezeichnet war.

Anwalt Spinner will nun, daß der Kongreß die Verantwortlichkeit der Marine insgesamt untersucht. Der italienische Ministerpräsident, der derzeit in den USA weilt und das Unglück vom Februar letzten Jahres ein Massaker nannte, wollte noch gestern den Ausgang des Verfahrens bei seinem Treffen mit Präsident Clinton zur Sprache bringen.

Gegen Ashby steht noch ein Verfahren wegen Beweismittelunterschlagung aus. Er hatte ein während des Flugs gemachtes Videoband verschwinden lassen. Dafür kann er zu maximal 12 Monaten Gefängnis verurteilt werden. Eine Verurteilung im Hauptverfahren hätte ihm für jeden Toten 10 Jahre, insgesamt also 200 Jahre Gefängnis eingebracht. Peter Tautfest