„Ein deutliches Generationenproblem“

■ Von „separatistischen Polit-Lesben“ möchten viele jüngere Frauen nichts mehr wissen. Die etablierten Projekte sind für sie nur noch Serviceeinrichtungen

Frau kennt sich bei der traditionellen Soliparty zum 8. März im Kreuzberger Szeneschuppen SO 36. Kein Wunder. In den vergangenen Jahren ist die linksradikale autonome Frauen- und Lesbenbewegung immer überschaubarer geworden. Fatal findet Alexa (29), eine von ihnen, den Rückzug früherer Aktivistinnen in heimelige Nischen. „Das einzige, was vielen Frauen zum Thema Feminismus einfällt, ist, sich in den vor Jahren erkämpften Projekten aufzuhalten“, kritisiert sie, „das ist viel zu wenig.“

Viel zu wenig, so urteilen mittlerweile viele aus „der Szene“, kommt an radikalem Schwung aber auch aus den eigenen Reihen. „Wir sind Frauen, wir sind viele, wir haben die Schnauze voll!“ Kaum eine dürfte den altehrwürdigen Standardruf heute abend auf dem Heinrichplatz bei der autonomen Demo zum 8. März aus der Mottenkiste holen. Und wer spricht heute noch vom „internationalen Frauenlesbenkampftag“?

Trotzdem. „Die autonome Frauen- und Lesbenbewegung ist immer noch der Ort, wo die wichtigen politischen Fragen aus einer linken feministischen Sicht betrachtet werden“, betont Alexa. Es geht um nicht weniger als Perspektiven gegen Sexismus, Rassismus und Kapitalismus. Und so werden beispielsweise mit dem Erlös der SO-Party illegalisierte Migrantinnen unterstützt.

Gegenüber den „separatistischen Polit- Lesben“ haben die Newcomerinnen auf der Frauenpiste erheblichen Abgrenzungsbedarf. „Wie oft bin ich von denen schon blöd angemacht worden, wenn ich im Kleidchen auf einer Party aufgetaucht bin“, fragt Anne (28) in die Runde im Café Grünberg in Friedrichshain. Ihre Freundinnen aus dem schwullesbischen Jugendnetzwerk Lambda nicken wissend. „Als ob Frauen, die wie Frauen aussehen, nicht denken könnten.“

Ihr Konzept ist Queer. War für frühere Generationen Adrienne Rich eine Offenbarung, so hat diesen Platz längst Gender-Forscherin Judith Butler eingenommen. Für die Youngster ist Queer die Weiterentwicklung von Feminismus: „Feminismus will die Emanzipation von Frauen“, sagt Maike (20), überzeugte Butch, „Queer erweitert diesen Anspruch auf andere Lebensweisen.“

Was meinen die jungen Frauen damit? Wahrnehmen, daß zwischen Männlein und Weiblein verschiedene geschlechtliche Identitäten bestehen können. Bestehende geschlechtliche Kategorien aufweichen. Und mit Geschlechterrollen spielen. Ganz so verspielt soll's aber auch nicht sein. Eine Femme ist eine Femme und eine Butch ist eine Butch. Basta. „Beim Fußballspiel wechseln doch auch nicht alle ständig ihre Positionen“, argumentiert Anne, ganz selbstbewußte Femme.

Alle neuen Erkenntnisse hindern die jungen Ladys nicht daran, die klassische feministische Präambel, „das Private ist politisch“, auf sehr konkrete Weise umzusetzen. Anne und Antje (23) stellen sich vor Schulklassen und sprechen über Sexualität. Ganz viel über ihre eigene. Auch über heterosexuellen Sex, über Verhütung, Fingerlinge, Gleitgel und Dildos.

Weitgehend unbemerkt von der neuen Avantgarde haben sich einige der „uncoolen Politlesben“ längst auch auf queeres Gelände vorgewagt. Zusammen mit Schwulen, Tunten und anderen Identitäten zogen sie mit den eigens gegründeten „Queer Adventure Tours“ am vergangenen 1. Mai nach Leipzig, um sich gegen den dortigen braunen Aufmarsch zu stellen. Als sie bei ihrer Ankunft in Berlin von der Polizei festgesetzt wurden, hatten einige BeamtInnen Schwierigkeiten, sie überhaupt in Männer oder Frauen zu unterscheiden.

Zur Glaubensfrage wird Queer über Transsexuelle in Frauenräumen diskutiert wird. „Wir wollen Frauenräume weiter schützen“, sagt Petra Burger (37) vom Neuköllner Rad und Tat (RuT), der offenen Initiative lesbischer Frauen. „Wir wollen denen einen Raum bieten, die hier als biologische Mädchen aufgewachsen sind.“ Antje, die das Aufklärungsprojekt bei Lambda hauptamtlich koordiniert, ist erbost über „das starre Gedankenmodell, daß andere Weiblichkeiten immer noch als Männer wahrgenommen werden.“

„Ein deutliches Generationenproblem“ macht Silke (22), Praktikantin bei Lambda, bei dieser Diskussion aus, die bei allen Beteiligten das Blut in Wallung bringt. Doch diesen Konflikt will Ursula Nienhaus (52), Leiterin des Frauenforschungs-, -bildungs und -informationszentrums (FFBIZ) „nicht überdramatisieren“. „Als wir Anfang 20 waren, dachten wir auch, wir würden alles neu erfinden“, sagt die feministische Historikerin.

Mit seinem mehr als 20jährigen Bestehen ist das FFBIZ wie viele andere Frauenprojekte älter als die Frauen, die jetzt aufmucken. Das bedeutet, daß „jüngere Frauen die Geschichte der frauenpolitischen Eroberungen nicht mitbekommen haben“, erläutert Johanna Kooz (56), stellvertretende Leiterin der Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauenstudien und Frauenforschung an der Freien Universität Berlin.

Die Konsequenz: Sie nehmen die etablierten Projekte als Serviceeinrichtungen, nicht als Errungenschaften der feministischen Kämpfe wahr. Vielleicht ist genau dies der größte Erfolg der Bewegung, die mit einem Tomatenwurf begann. Monika Hinner