Die Ewige Praktikantin

■ Während sich altgediente Weiblichkeitsmythen in Wohlgefallen auflösen, haben mediale Wirklichkeitsverorter bereits ein neues Rollenbild ausgemacht

Als Monica Lewinsky eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand sie sich in ihrem Bett zu einer ungeheuren Expraktikantin verwandelt. „Oh my God“, dachte sie, „was für einen anstrengenden Beruf habe ich gewählt!“

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Monica Lewinsky ist für sich genommen nur eine Frau. Doch als solche wäre sie nur mäßig interessant. Nein, eine (Medien-)Öffentlichkeit will, wann immer sie sich eines Einzelschicksals annimmt, zugleich auch mehr. Sie will, was auch immer geschieht, möglichst schnell und möglichst einfach exemplifiziert, verortet und widergespiegelt wissen.

Bevor sich „Lewinsky-Lookalike“ (Berliner Zeitung) Birgit Schrowange beispielsweise zum RTL-Interview in New York einfand, hatte sie „ein ganz anderes Bild von Monica. Ein Bild, das geprägt war vom ungeheuren Presserummel.“ Fest habe sie mit einer naiven, dicken Monica gerechnet, statt dessen aber, wie sie in der Berliner Boulevardgazette B.Z. ehrfürchtig gestand, „ein ganz neues Bild von Monica Lewinsky“ nach Hause genommen: „Eleganz pur“ (dunkelblauer Armani-Anzug), „lustig und schlagfertig“ sei sie gewesen, die Expraktikantin.

Und am selben Tag, an dem Birgit Schrowange ihr revidiertes Monica-Bild in die Welt hinausposaunte, wußte auch Bild die Nation erschöpfend über die neue Monica zu informieren: „Vergessen Sie alles, was Sie bisher von Monica Lewinsky gehört haben!“ ereifert sich Journalist Christoph Scheuring. In Monicas angeblich zugemüllter Exklusiv-Butze in Los Angeles will er ein Geschöpf vorgefunden haben, das eine Strickjacke trug, die aussah, „als hätte sie bei Woolworth mal fünf Dollar neunzig gekostet“. Die Fußnägel seien rot, die Fingernägel angekaut gewesen, das Make-up „nachlässig im Gesicht verteilt“. Während Schrowanges Monica im RTL- Sparinterview die dezent geschminkten Lippen höchstens zu einem gelegentlichen Grinsen aufwarf, verfügte Scheurings „normales, amerikanisches Vorstadtmädchen“ Monica L. über einen Mund, „der bei den meisten Männern die Begehrlichkeit auf direktem Weg in den Unterleib stanzt“.

Original und Fälschung? Oder lügt hier etwa einer? Egal, denn sowohl Birgit Schrowange als auch der offenbar im fortgeschritteten Formulierungsdelirium befindliche Scheuring propagieren eilfertig, aus der Praktikantin Lewinsky sei in wundersamer Metamorphose nicht etwa eine politische Fußnote, sondern die Expraktikantin Lewinsky geworden. Unverfroren staunte die Presse über Lewinskys „Gelassenheit“, ihr „Selbstbewußtsein“, ihre „sympathische Ausstrahlung“, ihr Erscheinungsbild. Wenn aber Amerikas professionelle Image-Helferlein es seinerzeit geschafft haben, selbst die hoffnungslose Provinzvisage von Paula Jones pünktlich zum Gerichtstermin halbwegs präsentabel zu gestalten, wie ergiebig muß das Herumdoktern an der vergleichsweise knackigen Ms. Lewinsky gewesen sein.

Und siehe da, das einst eher zufällig vor die Kamera geratene, pummelige Problemkind wurde gleichsam über Nacht zum stilsicheren Superhirn hochfrisiert. Und das mit gutem Grund: Die 2 Millionen Dollar Anwaltskosten wollen erst mal reingeholt werden. Das konnte aber nur funktionieren, indem man Monica als Medienphönix aus der Cocktailkleid- und Samenfädenasche steigen und als wiedergeborene heilige Hure zur Hauptattraktion einer überdimensionalen Medienfreakshow machte.

Im Laufe des sagenhaften Zweikampfs Clinton vs. Lewinsky ward in edler Einfalt ein neuer Mythos geboren: die „Praktikantin“ eben. Praktisch, denn da sich die altgedienten Mythen („Mutter“, „Hausfrau und Mutter“, „Vorzeige-“ und „Vorzimmerdame“) allmählich in Wohlgefallen aufzulösen drohen, tritt nunmehr ein neuer, zeitgemäßer seinen Dienst an, um schiefhängende Weltbilder in Sachen Weiblichkeit wieder geradezurücken. Auf der Betriebsfeier der Rollenbilder tummelt sich jetzt ein bittstellendes und zugleich dankbares Geschöpf. Ohne zu murren, juckelt es mit prallgefülltem Postwägelchen durch die Flure und rennt die offenen Bürotüren abgehangener Demokratenhengste ein. Und entpuppt sich simultan, heilige Mutter Gottes, als Eins-a-Schlampe und strohdoofer Bauerntrampel, der beleidigten Republikanerleberwürsten als Bauernopfer mehr als gelegen kommt.

Am Ende des Debakels steht also weniger die „gescheiterte Praktikantin... ein Stück weit für eine bestimmte Generation“ (Stern), sondern eher für ein mediengemachtes Frauenbild, das die Presseorgane nach Herzenslust auf den Strich abkommandieren und anschließend kollektiv totmanipulieren können. Schlußendlich hat die Ewige Praktikantin keine andere Wahl, als verbreiten zu müssen, daß sie sich nichts sehnlicher wünsche als Ehe und Kinder und heimischen Herd.

Nach dem Barbara-Walters-Interview sah man in Amerika vielerorts vor allem die „Kampagne“ der Expraktikantin, sich vor der Öffentlichkei zu rehabilitieren. Daß Monica Lewinsky gelegentlich albern, „beinahe infantil“ (L.A. Times) wirkte und damit ihr angepeiltes Image als reife, geläuterte Frau selbst erschütterte, schien dort, anders als in Deutschland, zumindest einigen Leuten aufgefallen zu sein. Ein ziemlich sicherer Deal des Lewinsky-Biographen Andrew Morton also, seine Monica als „Kindfrau“ zu verkaufen. Vielleicht ist sie aber auch nur ein dicker, verwundeter Käfer in einem kleinen dunklen Zimmer, dem bis an sein Lebensende ein faulender Apfel der Erkenntnis im Panzer stecken wird. Monie Schmalz