„Sowieso ein halber Mann“

Trägt Sport zur Frauenemanzipation bei oder werden gerade im Sport Geschlechterrollen zementiert? Beides stimmt  ■ Von Beate Fechtig

Boris Becker, der ja bald die Tennisbühne räumen wird, hinterläßt der Nachwelt einige tiefschürfende Erkenntnisse. „Ich spiele Tennis“, sprach der rotblonde Tennisphilosoph einst, „und Steffi Graf spielt Damentennis.“ Dieser Spruch könnte in der Fußballversion auch von Lothar Matthäus stammen, der seiner Lolita stellvertretend für den Rest der Weiblichkeit vom Fußballspielen dringend abrät: „Soll lieber Volleyball spielen.“ Oder am besten Einkaufen gehen.

Wir lernen: Frauentennis ist Firlefanz und Frauenfußball ekelig. Und: Lothar Matthäus hat ein Ehe- und Boris Becker ein mentales Problem. Hat er selber gesagt. Tatsächlich ist Frauentennis in den USA im vergangenen Jahr, was die Fernsehquote betrifft, am Männertennis vorbeigezogen. Die „Girlie- Power“ mit den Schwestern Venus und Serena Williams, die vom Pummelchen zur Nummer eins mutierte Lindsay Davenport und das blitzartige Comeback von Steffi Graf sind einfach interessanter als das Gähn-Tennis von Sampras und Kafelnikow. Soll heißen: Es ist wurscht, ob der Aufschlag 220 oder 150 km/h schnell fliegt, ob Männlein oder Weiblein draufhauen. Hauptsache, es menschelt da unten auf dem Tenniscourt.

Mit Emanzipation im Sport hat das wenig zu tun, die Show ist einfach besser. Frauentennis habe im Moment die Dramaturgie einer Soap-Opera, schrieb die Süddeutsche Zeitung: Wer mit wem, wer gegen wen und wer sieht am besten aus? Und die serienmäßige Intrigantin ist auch schon aufgetaucht: Amelie Mauresmo, die breitschultrige Französin mit den Donnerschlägen, hat unverschämterweise bei den Australian Open als ungesetzte Spielerin das Finale erreicht. „So wird Frauentennis normalerweise nicht gespielt“, beschwerte sich nach ihrer Halbfinal-Niederlage Lindsay Davenport, „manchmal habe ich das Gefühl gehabt, ich spiele gegen einen Kerl.“ Und gleich stimmte Kollegin Martina Hingis in das Protestgeheul gegen die offen lesbisch lebende Mauresmo ein: „Sie hat ja auch immer ihre Freundin dabei und ist sowieso ein halber Mann.“ Oh toll, keifende Teenies und eine ruchbare muskelbepackte Androgyne – spannender kann „Frauensport“ gar nicht sein. Seitenweise füllte die Sportpresse Anfang des Jahres die Seiten mit „Mucki-Mauresmo“ (Express). Sport-Lolitas wie „Franzi“ (van Almsick) oder „Tanja“ (Szewczenko) finden sich heute an jeder Ecke, aber eine tennisspielende Mannfrau, eine Mixtur aus Navratilova und Sabatini, gibt endlich wieder neue Schlagzeilen her. Und in diesem Fall mußte sich die Männerpresse nicht einmal des Chauvinismus verdächtig machen – dankenswerterweise hauen sich die Sportlerinnen heutzutage gegenseitig in die Pfanne. Oder mit der Sportwissenschaftlerin Gertrud Pfister gesprochen: „Oft sind das Frauen, die Frauen weniger zutrauen und zum Beispiel lieber einen Mann zum Trainer haben.“

Wir lernen: Erotik, gerne auch Homo-Erotik, gehört zum Frauensport dazu. Abgesehen davon bleibt immer noch der Mann, oder besser gesagt, das Männliche der Maßstab. Muskulös und kraftvoll ist gleich männlich, oder bei Frauen, vermännlicht. Flammend appelliert die amerikanische Journalistin Paula Hunt in Sports Illustrated an ihre zum größten Teil männlichen KollegInnen, doch endlich von diesem Standard abzulassen: „Hören wir doch auf zu sagen, Mauresmo oder eine andere Sportlerin spielt wie ein Mann. Sagen wir einfach: Sie ist eine großartige Spielerin. Schon vor 70 Jahren wurde über die Golfspielerin Glenna Collett Vare geschrieben, sie schlage wie ein Mann. Vielleicht finden die Sportschreiber endlich einen treffenderen Vergleich.“

Das kann dauern. In vielen Sportarten klingt der Vergleich mit Männern eben auch in Frauenohren wie ein Kompliment. „Sie spielt wie eine Frau“, das würde eine Fußballerin ungern hören. Aber: „Er benimmt sich wie eine Frau“ oder, wie der einfach strukturierte Fußballer es nennt, „wie ein Weib“ (Mario Basler) – das gilt in Profifußball-Kreisen als handfeste Beleidigung. Insofern war es sicher nur freundlich gemeint, als Gerhard Mayer-Vorfelder (Präsident des VfB Stuttgart) der Fußball-Nationalspielerin Birgit Prinz scherzhaft eine Geschlechtsumwandlung nahelegte: „Damit sie bei uns, beim VfB Stuttgart spielen kann.“ Über diesen „Witz“ hat merkwürdigerweise niemand richtig lachen können.

Umgekehrt gelten weibliche Maßstäbe sogar in kompositorischen Sportarten wie der Rhythmischen Sportgymnastik oder im Eiskunstlauf als zweitklassig. Eine ausgesprochen weibliche Gymnastin, eine normal entwickelte Frau also, hat international keinerlei Medaillenchancen. Das Schönheitsideal ist die unterentwickelte Kindfrau. Dem einstigen Weltklasse-Eiskunstläufer Norbert Schramm gelang es in den 80er Jahren zwar, den Eiskunstlauf der Männer mit weiblichen Elementen zu ästhetisieren. Seine tänzerische Brillanz und hübschen Pirouetten quittierten die Kampfrichter aber oft mit Naserümpfen.

Trägt Sport also zur Frauenemanzipation bei oder werden gerade dort Geschlechterrollen zementiert? Beides stimmt. Als Martina Voss, Kapitänin der DFB- Fußballerinnen, zu ihrer Ehrung als „Fußballerin des Jahres“ im Kleid erschien, rieben sich Journalisten und Funktionäre die Augen. „Sie konnten einfach nicht fassen, daß sich auch eine Fußballerin gerne weiblich kleidet“, sagt Voss. Frauen werden nicht etwa die Fähigkeiten zu kicken abgesprochen – das ist Schnee von gestern. Fußball-Nationalspielerinnen, ohne Ausnahme rank und schlank, gelten als männlich angehaucht, wenn nicht sogar als größtenteils lesbisch. „Ich könnte sehr gut für Kosmetika oder Kleidung Werbung machen“, sagt Voss, Mutter einer fünfjährigen Tochter. Das Problem ist nur: Das Image einer extrem erfolgreichen Fußballerin (vierfache Europameisterin, Vize-Weltmeisterin) taugt in Deutschland nicht zum Geldverdienen.

Während von Fußballerinnen Männlichkeitsgehabe offensichtlich auch im Privatleben erwartet wird, werden Leichtathletinnen mit besonders maskulinem Aussehen verdächtigt, verkleidete Männer zu sein. In einem sogenannten „Sex-Test“ müssen Olympiateilnehmerinnen immer noch ihre genetische Weiblichkeit nachweisen.

Andererseits sind im Goldglanz der Medaillen, besonders der olympischen, Diskriminierungen auch schnell vergessen. Noch Mitte der 80er Jahre wurden beispielsweise Biathletinnen als „Flintenweiber“ schlechtgemacht, spätestens nach ihrem Triumph von Nagano 1998 sind Uschi Disl, Petra Behle und Kolleginnen die Lieblinge der Verbandsoberen. Wir lernen: Anerkannt als Sportlerin ist, wer Erfolge hat. Und keine allzu großen Muskelberge mit sich herumschleppt. Und nicht gerade Fußball spielt. Und eine erotische Ausstrahlung hat. Und und und.