: Ostbürger, schaut auf diese Stadt!
Stimmungsballett, Stimmungstöter und Stimmungsmache: Mit der Uraufführung von „Lola“, Peter Märthesheimers Kleinstadttragödie West nach dem Drehbuch für den Fassbinder-Film, verabschiedet sich Armin Petras als Oberspielleiter vom Theater Nordhausen ■ Von Petra Kohse
Theater, das sich nicht sowieso selbst genügt, ist in erster Linie ein lokales Ereignis. Gemacht an einem bestimmten Ort für diejenigen, die auch sonst dort wohnen und Steuern zahlen. Wer zum Zuschauen angereist kommt, blickt eher als Zaungast aufs Geschehen – eine unvorteilhafte Position, die man zu verbessern sucht. Etwa dadurch, daß man das Sosein des Ortes als Teil der Inszenierung nimmt. So verschwindet der Alltag, von dem man ausgeschlossen ist, und die Rampe rückt vor bis an den Zaun, hinter dem der Zugereiste plötzlich in der ersten Reihe sitzt. Kaum aus dem Bahnhof herausgetreten, blickt er also gierig auf den Vorplatz, ob sich nicht hier schon ein Geheimnis lüfte. Gerade so, als wären Kostümträgerinnen, die in Turnschuhen vorbeihasten, ein Pitbull, der an einen Trabi pinkelt, oder die Vorherrschaft von Bequemsohlen in der Auslage des örtlichen Schuhgeschäfts mit Absicht gesetzte Zeichen einer Sozialstruktur, die sich offenbaren will. Aber andererseits – sind sie es etwa nicht?
Lügen und Gier in den westdeutschen 50ern
Im Theater Nordhausen hatte am Freitag „Lola“ Premiere. Eine „Kleinbürgertragödie“ von Peter Märthesheimer nach dem gleichnamigen Drehbuch von Märthesheimer und Pea Fröhlich für den Fassbinder-Film von 1981. Da nach Streitigkeiten mit dessen Erben sein Name nicht erwähnt werden darf, steht auf dem Nordhäuser Programmheft wenigstens ein Fassbinder-Zitat: „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.“ Tatsächlich hat Märthesheimer das Drehbuch zum Drama umgearbeitet und verknappt. Auch wenn einem beim Lesen ungefragt Barbara Sukowa, Mario Adorf und Armin Mueller- Stahl erscheinen, handelt es sich um eine Uraufführung. Inszeniert von Armin Petras.
Lola ist die Diva eines Kleinstadtpuffs. Persönlicher Besitz des Besitzers, kann sie sich ihren Auftritten als Sängerin und den Träumen vom besseren Leben widmen. Westdeutschland, Anfang der 50er Jahre. Nach dem Verdienen an der Zerstörung kommt jetzt das Verdienen am Wiederaufbau. Aber auch: Erste Demos gegen Wiederbewaffnung, Frauenüberschuß sowie das allseitige Verlangen nach vorteilhaft geregelten Verhältnissen. Eine Gemeinschaft aus Lügen und Gier entsprechend, in die ein neuer Baudezernent gerät. Voll von Anstand und den besten Wünschen für die Wirtschaft, damit sie dem Gemeinwohl nutze.
An ihm empor will nun Lola in die Verlogenheit der besseren Gesellschaft hinaufklettern, eine heilige Johanna der Einbauküche. Daß ihr das gelingt, daß der Baudezernent erst gegen alle Wirtschaftspläne Amok läuft, als er erfährt, daß Lola die Hure des Bauunternehmers ist, sie dann aber trotzdem als Geschenk entgegennimmt und heiratet, macht die Perfidie des Entwurfs aus, den Fassbinder mitfühlend, aber trotzdem voll böser Lakonie ausformuliert hat. Zwei halten die Hölle für den Himmel – selbstverschuldetes Schicksal, das.
Reichtum, der aus tiefer Tiefe kommt
Bei Armin Petras und auf der Bühne von Annette Riedel spielt die Geschichte im Lichte einer „Gurgelhalle“. Vorn zwei Podeste mit Trinkbecken an halbrunden Saunaholz-Wänden und hinten, mittig, die kostbar verglaste Quelle, machen deutlich, daß diese Lola-Kleinstadt ganz anderswo ist. Denn auch wenn Nordhausen selbst eine Kleinstadt ist, ist es zwar für Korn und Harzquerbahn, nicht aber für Mineralienvorkommen berühmt. Aus tiefster Tiefe kommt auf der Bühne der Reichtum, und es wundert daher nicht, daß der Pförtner den Hitlergruß turnt und der Baudezernent riesige Hakenkreuze entrümpeln muß. Auch sonst betrachtet Petras den Text recht schwungvoll durch die Lupe. Der Bauunternehmer und Puffbesitzer (Andreas Haase), ein edel bepelzter, fies hinkender Kapitalist, schleppt bei offiziellen Anlässen eine lange Holzlatte mit sich herum, und die eilfertig-verklemmte Sekretärin Fräulein Hettich (im Film Helga Feddersen), gibt es hier gleich doppelt. Natalie Hünig und Anne Keßler unter blond-ondulierten Perücken und mit Hasenzähnen, in hüftverstärkten, knieengen Kostümen einherruckelnd, sind die herrlichste Erfindung seit es Stücke mit Sekretärinnen gibt. Sie können wie durch Zauberei überall sein, können lispeln und schmachten, ihren Hintern an der Wand schubbeln, Teebeutel am Klemmbrett befestigen oder mit dem Chef synchron Zeitung falten.
Man merkt es schon: Märthesheimes Kleinbürgertragödie ist bei Petras eine Klamotte, und im heiteren Erzählerton moderiert Frank Voigtmann als ewiger Gehilfe Esslin das Geschehen. Ein 50er-Jahre-Stimmungsballett voller pastellfarbener Schwingmäntel (Kostüme: Michaela Barth), den ersten Nylons und dem dritten „Tor für Deutschland!!!“ zur Weltmeisterschaft 1954 gegen Ungarn. Und gleichzeitig ein besserwisserischer Stimmungstöter, in dem die Hauptfiguren zur sofortigen Kenntlichkeit verflacht sind. Diana Neumanns Lola zielt im hellblaugeblümten Faltenrockkleid mit weißem Kragen schon in der ersten Szene aufs Eigenheim, und Peter Moltzens Baudezernent ist als bebrilltes Aufziehmännchen ebensowenig sympathisch wie Andreas Haases angeberischer Kapitalist. So schafft man Klarheit und sich das Tragische vom Hals.
Insofern ist Petras' Blick auf Lolatown dann doch wieder Stimmungsmache: als entschiedener Blick von Ost nach West. Trotz des Stichworts „Bauskandale“ sei dies mitnichten ein Stück von hier, morst diese Inszenierung mit jedem Slapstick. Bitte begründen Sie selbst. Vielleicht, weil es im Osten die Spekulanten sind, die von außen kommen und die ansässigen Baudezernenten in die Bredouille bringen, nicht andersrum. In jedem Fall rät Petras zu Distanz.
Entsprechend war das Publikum versöhnt
Die Premiere war ein Erfolg. Während bei den formal anspruchsvolleren und mit Echtzeitelementen experimentierenden Arbeiten des Oberspielleiters in der Pause regelmäßig ein Teil der Abonnenten zu fliehen pflegt, waren diesmal alle zufrieden. Gar Rosen flogen aus dem Parkett! Zu Sympathie-Ovationen für Armin Petras, der mit seinem Intendanten Christoph Nix in der nächsten Spielzeit nach Kassel wechselt, kam es trotzdem nicht. Aber vielleicht wäre das auch etwas viel verlangt, bedenkt man die Kommentare im Premierenbuch zur letzten Petras-Inszenierung. Ibsens „Nora“ hatte für Verbitterung unter den Generationen gesorgt. Während etwa „Sabse“ die Sache liebte, sahen Dr. Soundso und Frau die städtische Kultur in Elend und Schande.
Man könne „Lola“ nicht ohne „Nora“ verstehen, sagte denn auch der Regisseur nach der Premiere. „Lola“ sei gewissermaßen sein „Abschiedsgeschenk an Nordhausen“. Im Zweifelsfall bleiben Zugereiste eben doch hinter dem Zaun.
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