Typ "seltsamer Typ"

■ Nach wie vor schwer schubladisierbar: Jimi Tenor ist ein finnisches Enigma mit Käseorgel, fetter Brille, Wohnsitz Barcelona - und neuer LP

Wie weit kann ständige Selbstinszenierung gehen, ohne daß dabei bloß noch grenzenlose Langeweile aufkommt? Jimi Tenor, Finne und brillensammelnder Bill Gates in cool, schafft nun schon seit einigen Jahren die Imagewanderung zwischen leicht autistischem Nerd und Hipster, ohne ein mediales Gähnen ausgelöst zu haben. Daß sich hier einer vor lauter Zitaten und Verweisen nicht selbst auflöst, sondern im grenzenlos Performativen wieder so etwas wie Authentizität herausschält – Typ „seltsamer Typ“ –, scheint das Erfolgsgeheimnis von Jimi Tenor zu sein. Nicht schubladisierbar und obskur zu sein, führt hier nicht bloß zu einem hohen Trashlevel, der sich kurzzeitig vermarkten läßt, sondern zu einer Persönlichkeits-Oberfläche, die allen kulturindustriellen Regeln zu trotzen scheint. Und das, obwohl die bis zum Exzess zur Schau gestellte Originalität und das genüßliche Suhlen im anything goes eigener Image-Transformationen längst berechenbar geworden ist.

Mit Andy Warhol auf der Love Parade

Vor zwei Jahren kam sein erstes Album mit dem Sheffielder Label Warp auf den Markt. Dort, wo bisher fast ausschließlich der sogenannte „Intelligent Techno“ von Aphex Twin oder Autechre zu Hause war, hatte man endlich einen richtig gut zu vermarktenden Popstar. Titelstories in fast allen relevanten Popmagazinen, „Take Me Baby“ auf der Love Parade und in den deutschen Charts.

Dabei machte Jimi Tenor einem schon immer Probleme beim Labeln. Kommt zwar aus Finnland, „Kaurismäki des cheesy Pop“ klingt aber dann doch zu doof. Sieht der Typ jetzt eher aus wie Andy Warhol, Dean Martin, Towa Tei oder wie ein Klon aus allen zusammen? Die Musik: New Electronica? Strange Listening? Coctail-Jazz? Fragen über Fragen. Die wichtigste aber: Trugen Hipster schon vor Jimi Tenor diese komischen Jimi-Tenor-Brillen mit überfettem Gestell und Siebziger-Jahre-Design, die einen so dermaßen cool, wissend und nerdig gleichzeitig aussehen lassen?

„Organism“ heißt die neue Platte. Funky, ziemlich funky sogar, jazzy, Electro gibt's auch. Eine Partyplatte, die den Sommer vorweg nimmt. Bloß: Komische Musik auch hier, auf der poppigsten Jimi- Tenor-Platte bisher. Muß man wissen, um sich in diesem „Strangeadelity“-Kosmos zurecht finden zu können, daß einer von Tenors Lieblingsregisseuren John Waters ist? Seine Lieblingsschauspieler Bruce Lee und Divine sind? Daß er schon selbst Filme gedreht hat, deren Titel „Dr. Abortenstein“ und „Urinator“ nicht gerade nach der Kategorie A-Movies klingen?

Weitere Einflüsse? „Alles“. Alles? „Ja, alles. Ich kann das wirklich nicht weiter differenzieren“, meint Tenor. Konkretisierung hieße hier Festlegung. Die offene Persönlichkeit, das offene Kunstwerk vermeidet dies, um sich selbst gerecht zu werden.

„Organism“ wurde in Berlin, London, Barcelona, New York und Jimi Tenors Heimatstadt Lahti aufgenommen. In Städten, in denen er zuhause war, die ihn aber alle nicht lange halten konnten. Umherirren, wie Björk Weltenbürger sein, den überall seine Wurzeln einzuholen drohen. Der Versuch, sich von der Wahrnehmung als „die isländische Eisprinzessin“ oder „der seltsame Finne“ zu emanzipieren, ohne jedoch die eigene Herkunft verleugnen zu müssen. Die Erfahrung, immer Alien vom kaum wahrgenommenen Planeten Finnland sein zu müssen, hat Tenor geprägt. So heißen Tracks etwa „Fantom (The Wandering Ghost)“, „Europa“, „Atlantis“.

Seit einiger Zeit wohnt er in Barcelona. Warum? „Warum nicht?“ Die Antworten, die ein doch recht gelangweilter Jimi Tenor beim Interview gibt, sind wenigstens kurz und knackig. Aber es kommt noch was hinterher: „In Barcelona ist es warm und billig.“ Geschenkt. Wegen der Musik lebt er auf jeden Fall nicht in Spanien: „Die Popmusik in Spanien ist langweilig. Second-Hand-Pop. Sehr folkloristisch das meiste. Flamenco und so was eben.“

Märchenprinz und Schimmelreiter

Wenn einer sich selbst als Lebenskunstwerk stilisiert – gibt es irgendwelche Verbindungen zur Kunstszene? „In England bin ich ein wenig mit sogenannten young british artists abgehangen. Aber das wurde bald ziemlich langweilig. Ein paar Freidrinks bei Vernissagen und sonst immer dieselben Typen um einen herum.“. Im letzten Sommer, beim Sonar-Festival in Spanien, ist Jimi auf einem Schimmel auf die Bühne geritten. Blonder Märchenprinz auf einem weißen Pferd, das hätte, um doch noch einen Bezug zur Kunstszene herzustellen, wenigstens Jeff Koons ganz gut gefallen können.

Jimi Tenor, das Enigma. Die Nerd-Ausgabe von Elton John. Einer, der mit seinem fies-schwülstigen Geklimper auf einem russischen Synthesizer berühmt geworden ist und sein dilletantisches Saxophon-Spiel zum Markenzeichen kultiviert hat. Wie bringt so einer eine Platte wie „Organism“ im ziemlich modernen anything-goes- Popdesign überhaupt zustande? „Ich mag es, zu Hause rumzumusizieren. Ich sitze in meinem Wohnzimmer und singe Country-Western-Balladen. Einfach so. Dafür gibts keinen besonderen Grund. Vielleicht, weil ich gerade eine Johnny Cash-Platte gehört habe. Weil es mir einfach Spaß macht. Und so mache ich auch meine Platten. Einfach so.“

Einfach so, aha. Und der sechzigköpfige finnische Chor, der bei einem Track mit dabei ist, ist wohl auch zufällig ins Studio gestolpert. Tenor, der geniale Hänger – so sieht er sich selbst. Und so sollen ihn auch andere sehen. Real Life verschwindet hinter einer Selbstinszenierung, die als wirkliches Leben wahrgenommen werden soll. Wozu bestens paßt: „Interviews mag ich eigentlich überhaupt nicht. Mein Leben ist gar nicht besonders interessant. Darüber gibt es nichts Tolles zu berichten. So erzähle ich in Interviews halt irgendwas. Was wirklich Spannendes ist da aber meist nicht dabei.“ Andreas Hartmann

Jimi Tenor: „Organism“ (Warp/ RTD)