Quorum verfehlt

Frauenpolitik hat auf dem Grünenparteitag keine Chance  ■ Aus Erfurt Heike Haarhoff

Der Funke ist nicht rübergesprungen.“ Regina Michalik beißt sich auf die Lippen. Nur 62 Delegierte haben ihr zugetraut, daß sie, früher Mitglied im grünen Bundesvorstand, heute 41 Jahre, einen erfolgreichen Europawahlkampf für die Grünen führen werde und daher auf den prominenten Platz drei der bündnisgrünen Europaliste gehöre. 62 Stimmen im ersten Wahlgang – das reicht nicht mal, um in der zweiten Runde antreten zu dürfen. „Quorum verfehlt!“ In unbarmherziger Lautstärke schallt es durch den Saal der „Neuen Messe“ in Erfurt, wo sich die Grünen am Wochenende zum Parteitag trafen.

„Viele haben wohl nur ,Frauen, Frauen, Frauen‘ gehört und sich gedacht, davon haben wir genug. Aber das ist nun mal mein Thema.“ Darauf einen Schluck Wasser. „Geht schon wieder“, murmelt Regina Michalik, als die Flasche polternd vor ihr zum Stehen kommt. Dabei geht eigentlich gar nichts. Jedenfalls nicht für Politikerinnen wie sie, die wie eh und je die Gleichberechtigung einfordern, Armut und Diskriminierung als weiblich anprangern und darauf pochen, daß Frauen „Entwicklungsträgerinnen“ sind.

Die schleswig-holsteinische Frauen- und Bauministerin Angelika Birk ist noch kaum aus dem Mantel, da ätzt sie schon los: Seit die Bündnisgrünen nur eine Woche vor dem Parteitag „von unserem Großen Vorsitzenden“ Joschka Fischer dessen geplante Strukturreform der Partei „durch die Medien erfahren durften“, ist für viele Frauen „fraglich, was an uns eigentlich noch alternativ sein soll“. Wer quotengemäßen Proporz fordert, hat 1999, im ersten Jahr der rot-grünen Bundesregierung, wenig Freunde.

Fischers Attacke auf die Doppelspitze, die 20 lange Oppositionsjahre gut genug war, die Teilhabe von Frauen an Spitzenämtern und -mandaten zu sichern, ist ein Angriff auf die per Satzung garantierte Frauenquote. „Theoretisch jedenfalls besteht diese Gefahr“, bangt die linke Parteisprecherin Antje Radcke, die über Fischers Überrumpelung immer noch „völlig konsterniert“ ist.

„Die Kerle haben uns schon mal über den Tisch gezogen, bei den Ministerposten“, schnaubt eine Delegierte aus Hildesheim. Kein halbes Jahr ist das her. Zur „Professionalität einer Regierungspartei“, wie Joschka Fischer und der glücklose Umweltminister Jürgen Trittin sie propagieren, gehört schnelles, effektives Handeln. Wenn schon nicht bei Atomausstieg und Doppelpaß, dann wenigstens in den eigenen Reihen. So könnte Radcke oder ihre Amtskollegin Gunda Röstel wegrationalisiert werden als eine der „liebgewordenen Dogmen, die im Grunde genommen nur uns selbst schädigen“ und von denen sich Joschka Fischer daher zugunsten eines oder einer Vorsitzenden „verabschieden“ will. Die Frauen als Bauernopfer einer vergeigten Politik. Aber deswegen sich verbünden und den Herren die Hölle heiß machen? Ach nee, ach ...

In Erfurt soll es harmonisch zugehen, zumindest nach außen. Antje Vollmer, die Bundestagsvizepräsidentin, ist ob der Anfrage zum Thema Frauen fast pikiert und will „dazu gar nichts sagen“. Lieber redet sie im besänftigenden Ton auf die kleinen Kungelrunden in den Gängen zwischen Buffet und Klo ein. Diese Strukturdebatte sei „völlig überfüssig“, ist da zu hören, zumal „zum jetzigen Zeitpunkt“. „Lächerlich“, wie die Medien versuchten, „den Joschka jetzt zum Bundesvorsitzenden hochzujubeln“. Sich Mut zu machen ist mühselig.

Dafür redet Reala Röstel um so lauter. Zur Einleitung ihrer Europarede bekundet sie erst mal, wie „froh sie über das „Zugpferd“ namens Joschka Fischer ist, der ihrer Parteiführung unlängst in einem Interview indirekt die „Kampagnenfähigkeit“ abgesprochen hat und der sie in seiner Rede später am Nachmittag wie selbstverständlich mit keinem Wort preisen wird. „Es ist das Drama der grünen Frauen, daß sie Strömungsfragen über Frauenfragen gestellt haben“, hat die heutige Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck, bereits vor einem Jahr ärgerlich festgestellt.

Hiltrud Breyer, 42, Gentechnikexpertin aus dem Saarland, nimmt jetzt auf der Bühne die Blumen für ihren Platz drei der Europaliste entgegen. Wie ihre gescheiterte Gegenkandidatin Regina Michalik gehört sie zum linken Parteiflügel. Aber ist das ein Grund, beherzt auf die Siegerin loszustiefeln und zu gratulieren? Michalik bleibt sitzen. „Wenn Frauen durchstarten wollen, gucken sie sich selbst noch schräg an.“ Die Berliner Fraktionschefin Renate Künast guckt, als wisse sie nicht, ob sie nun Mitleid oder Haß für das linkische Gehabe mancher Parteifreunde empfinden soll. Schließlich entscheidet sie sich für eine Entschuldigung, die beinahe so alt ist wie die Grünen: „Wir müssen zusehen, daß wir Netzwerke aufbauen, die die Männer längst schon haben.“

„Gentechnik kommt eben besser an.“ Michalik klingt beleidigt, als sei ihre Gegenkandidatin schuld an dem mangelnden Interesse an Frauenpolitik. „Die Grünen setzen jetzt auf andere Themen.“ Daß die eine Hälfte der Männer in Erfurt stets dann Bärenhunger auf die Knackwürstchen draußen verspürt, wenn drinnen im Saal Frauenpolitikerinnen gegen den Geräuschpegel der anderen Hälfte anreden, na gut. So neu ist das nicht. Aber, bitterer für Michalik: Die Bundesarbeitsgemeinschaft Frauenpolitik, kurz BAG, „hat nicht mal ein Votum für eine Kandidatin abgegeben“. Anstatt ihre Mitstreiterin zu unterstützen, wie es die meisten BAGs tun, wenn es mehrere Kandidatinnen für einen Listenplatz gibt, schweigen die BAG-Frauen sich an diesem Samstag morgen aus. Ein „Skandal“ sei das, schimpft sie, „die wollen immer niemandem weh tun“. Und verheizen so lieber ihre eigenen Leute.

Ruhig und mit Unschuldsmiene sitzen sie da an ihren Tischen mit den Platzkärtchen „Frauen“ – die neue Bundesfrauenreferentin Marion Bäker, Angela Pape, Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Lesbenpolitik, Angelika Albrecht, frauenpolitische Sprecherin des Bundesvorstands, und andere mehr. Doch, im kleinen Kreis regen sie sich schon auf. Darüber, daß „jetzt, wo sämtliche Wirtschaftsunternehmen die Vorzüge von Teamarbeit erkannt haben und sogar die CDU die Quote diskutiert, die Grünen dabei sind, einen Rückschritt zu machen“. Darüber, daß so viele von ihnen „desillusioniert“ sind. Weil Männer eben „Machtkämpfer“ seien und über „andere Seilschaften“ verfügten. Weil es „nicht Stil“ von Frauen sei, per Medien die Männer in ihre Schranken zu weisen, „weil Frauen integrativer sind, ans Allgemeinwohl der Partei denken und loyal hinter ihren Ministern stehen“.

Zwei lange Reihen sind eigens für „die Frauen“ reserviert. Doch viele Plätze bleiben leer, dabei sind es nicht die übelsten. Ein bißchen rechts außen zwar, aber dafür ganz vorn, mit freiem Blick auf die Bühne, wie für die Ehrengäste im Publikum einer Talkshow, die einst wichtig waren und jetzt, obwohl andere längst die Wortführerschaft übernommen haben, noch mal dabeisein dürfen.

Die Zeiten haben sich geändert, soviel ist klar. In größtmöglicher Distanz zur Frauenecke am anderen Ende des Saals erläutert Gunda Röstel, daß „wir mit der weinerlichen Art nicht weiterkommen“. Weil sich junge Wählerinnen „nicht mit Loserfrauen identifizieren“. Das sitzt. Hat Fischer Trittin jemals als Verlierer tituliert?

Und überhaupt, die Strukturdebatte. Heide Rühle, ehemalige Bundesgeschäftsführerin und seit dem Wochenende auf dem ersten Listenplatz für die Europawahl, genießt die Glückwünsche der Journalisten aus der sicheren Position heraus und will dann aber doch mal sagen, was Sache ist. Daß diese „Nabelschau“ nämlich bloß zum „Harakiri“ und dazu führen wird, „daß uns, wenn wir die Europawahl verpatzen, keiner mehr wählt“. Trittin, ja, der müsse sich mal „einer solidarischen Kritik der Partei“ unterziehen. Aber die Strukturdebatte ein Angriff auf die Frauenpolitik? „Wenn Frauen selbstbewußt genug sind, müssen sie erkennen, daß die Abschaffung der Doppelspitze keine Schwächung, sondern eher eine Überforderung der Frauen bedeutet.“ Weil die dann jeden Spitzenposten besetzen müßten. Schließlich gehören die ungeraden Plätze laut Satzung den Frauen. Rühle klingt, wie sie es meint: Den meisten Parteifreundinnen traut sie das nicht so recht zu.

Für Kritik bleibt in Erfurt wenig Zeit. Eineinhalb von vier geplanten Stunden zur Debatte über die Parteistruktur am Samstag dürfen sich die Delegierten äußern. Macht acht Sekunden Redezeit für jeden der 650 Delegierten. Sie nehmen's gelassen. „Ich wundere mich über den Zähmungseffekt“, sagt die Bundestagsabgeordnete Claudia Roth, „früher hätte man die Leute, die so was vorschlagen, von der Bühne gezerrt.“ Seit aber die Epoche grünen Mitregierens angebrochen ist, ist es weder mehr nötig – noch möglich, den Herren das Wort abzuschneiden. Das Trio Fischer, Trittin und Schlauch ist längst von den Medien als der wahre Parteivorsitz anerkannt. Europa- und Strukturdebatte hin oder her – wenn Fischer, der Außenminister, oder Schlauch, der Bonner Fraktionschef, den Saal betreten, ist ihnen das Blitzlichtgewitter sicher. Über Jahre haben sie sich zu Identifikationsfiguren aufbauen lassen. „Das haben Frauen versäumt“, sagt die Berliner Fraktionschefin Renate Künast.

Was den Frauen bleibt, ist die bloße Reaktion auf eine Debatte, die ihnen aufgezwungen wurde. Dieses Eingeständnis fällt schwer. Patzig erklärt Kerstin Müller, die Rezzo Schlauch dem Papier nach gleichgestellt ist: „Die Doppelspitze bleibt.“ Oder lieber doch nicht? Eine Delegierte kramt alte Fotos hervor. Gunda Röstel und Jürgen Trittin sind darauf zu sehen, damals noch als gleichberechtigte ParteisprecherInnen. Sie immer einen Schritt hinter ihm. „Und so gnadenlos“, klagt die Bundestagsabgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig, „ist das immer noch.“ Wenn einzelne Abgeordnete sich heute fragten, „wie wir ein Thema der Fraktionsspitze nahebringen“, dann gingen die meisten doch zu Rezzo Schlauch. „Denn Kerstin wird ja von der SPD nicht so ernst genommen.“ Deswegen, findet sie, „ist die Doppelspitze für Frauen eher schädlich“.

Zu Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer kommt immerhin der Rundfunk. „Quotierung“, sagt sie, „ist längst zum Vorwand geworden, die immer gleichen Strömungen zu bedienen.“ Sie weiß, daß sie provoziert. Dann, gereizt: „Also, wenn die Feministinnen zu bllll...“, und besinnt sich im letzten Moment: „Ich will mal so sagen: Formale Kriterien allein regeln unser Problem nicht.“

Im Foyer kreuzen sich die Wege der Unzufriedenen, für die sich kaum jemand interessiert. Wer kennt schon Namen wie Eva Pletz, Nadia vom Scheidt oder Yvonne Konradi. Egal ob alleinerziehende Mutter, Neueinsteigerin im Parteirat oder Kommunalpolitikerin aus Hamburg – die drei kennen die Basis und ihre Probleme. „Wenn du zu uns kommst, bekommst du sofort einen Posten“, sagt Pletz. Kein Wunder: Immer noch, hat der Wissenschaftler Christoph Hohlfeld herausgefunden, stellen Frauen nur ein Drittel aller grünen Parteimitglieder, müssen aber aufgrund der Quote die Hälfte aller Posten besetzen. „Wenn sie dann noch sehen, daß sie wieder ins Hintertreffen geraten, werden viele sagen, gut, macht's ohne mich“, warnt Konradi.

Angelika Beer, Bundestagsabgeordnete und Rüstungsexpertin zieht an ihrer Fluppe, gehetzt. Ein Antrag muß vorbereitet werden. Es geht um Nato, OSZE, Kosovo. Und ausgerechnet da platzt Fischer mit seiner Strukturdebatte herein. Als gäbe es keine anderen Sorgen. „Unverantwortlich“ findet sie das, „die Debatte kann keine Antwort auf politische Ratlosigkeit sein, sie demontiert bloß Leute.“ Ihr Gegenvorschlag? Im Frauenrat debattieren, nicht öffentlich, versteht sich. „Das machen Frauen nicht.“ Bis es zu spät ist und Fischer, Trittin oder Schlauch das nächste Thema besetzen.

Regina Michalik blickt immer noch verstimmt drein. „Mensch, Regina!“ Ihre Parteifreundin Renate Künast schiebt ihr ein Trostpflaster hin – eine weiße Baisertorte mit schweinchenrosa Zuckerguß und der Aufschrift „Zum 8. März“. „So was“, kichert Künast“, „kriegste doch nur hier im Osten. Die haben ein ganz anderes Selbstverständnis als wir.“ Regina Michalik nickt. „Schmeckt bestimmt scheußlich.“