„Nicht mehr die Pfütze für Männer sein“

In Rußland einen „echten Partner“ zu finden, hält sie für hypothetisch. Deshalb ist die Verlegerin Alla Schtejman Exemplar einer neuen russischen Spezies: Weiblich, über 30, erfolgreich, mannlos und – zufrieden  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Alla Schtejman erregte kürzlich in einer Talk-Show des privaten russischen Fernsehkanals NTW das schiere Unverständnis des Studio-Publikums. Der Grund: Die 36jährige Verlegerin, mandeläugig und zierlich, gehört zu einer neuen Schicht von Frauen in Rußland, die – obwohl nicht lesbisch – es gar nicht eilig haben, einen männlichen Lebenspartner zu finden.

Zwar erlaubt es die hohe Scheidungsrate in Rußland längst nicht mehr, die Ehe als Dauerinstitution zu betrachten. Doch die allgemeine Haltung dazu brachte einmal ein Freund der Verlegerin auf den Punkt: „Wenn du wenigstens mal für ein Weilchen heiraten würdest, wäre es für uns alle weniger peinlich“. Fast soviel wie eine Ehe gilt eine feste Lebenspartnerschaft.

Frauen, die sich all solcher Bündnisse enthalten und sich trotzdem putzmunter fühlen, sind nach wie vor selten in Rußland und lassen sich am ehesten unter den Selbständigen finden. Was Alla Schtejman betrifft, so antwortete sie schon als kleines Mächen auf die Frage, was sie einmal werden wolle: „Etwas, wobei ich immer Bücher lesen kann.“

Den Anstoß zur Verwirklichung ihres Lebenstraumes und zur Gründung ihres Verlages „Phantom Press“, erinnert sie sich heute in ihrem Drei-Zimmer-Büro in der Moskauer Innenstadt, erhielt sie Anfang der 90er Jahre. Damals machte sie Bekanntschaft mit den Kriminalromanen der polnischen Autorin Joanna Chmelewskaja. Deren Serienheldin ist eine alleinstehende Architektin in den besten Jahren mit zwei Kindern, einem unstillbaren Abenteuerdurst und vor allem – mit einem unerschöpflichen Humor.

Auf den grellbunten Umschlägen der Phantom-Press-Taschenbücher trägt die Heldin das Gesicht Alla Schtejmans. „Die Grafikern meinte, eine Frau wie ich, die heute in unserem Land bei all den Wirtschaftskrisen nur mit Krediten einen Verlag gründet, vollbringe auch eine krimireife Leistung“, erklärt sie. Heute verlegt Phantom Press mit vier festen und elf freien MitarbeiterInnen auch zahlreiche andere AutorInnen.

An die vierzig Chmelewskaja- Krimis hat Schtejman inzwischen herausgegeben und dafür hunderte dankbarer Leserbriefe geerntet – viele von Kranken und Invaliden, aber auch von weiblichen Teenagern. Manche schrieben, das Vorbild der Romanheldin habe sie von der fixen Idee abgebracht, daß „ein interessantes Leben nur davon abhängt, ob man den Jungs gefällt“.

Ein Privatleben voller fester Verpflichtungen hätte sich – so meint Alla – mit der Aufgabe, ihren Verlag über Wasser zu halten, ohnehin nicht vereinbaren lassen. Aber ihre spannende Aufgabe habe ihr den Verzicht darauf auch stark erleichtert. Der Weg in diese Selbstgenügsamkeit begann mit privaten Enttäuschungen. Alla Schtejman erzählt ein, wie sie betont, „typisches“ Beispiel: „Als ich als Mathematik-Studentin einer meiner ersten großen Lieben, einem Künstler, von meinem Traum erzählte, Bücher zu produzieren, rückte er mit der Vorstellung heraus, daß ich ja dann für uns beide das Geld verdienen könnte. Dazu sollte ich ihn noch auf romantische Weise inspirieren und – die Krönung! – später den Absatz seiner Meisterwerke organisieren.“

Nach einer längeren Reihe von Beziehungen, in denen sie sich auf ähnliche Weise ausgenutzt fühlte, habe sie sich dann Anfang der 90er Jahre gesagt: „Ich möchte nicht mehr die Pfütze sein, in die alle ihre schlechten Energien ergießen, um selbst aus ihr irgendetwas herauszusaugen. Ich möchte mich selbst nicht nur achten, sondern sogar lieben. Also: Schluß mit alledem!“

Die Möglichkeit, in Rußland einen echten Partner für sich zu finden, hält sie unter den gegenwärtigen historischen Bedingungen für „beinahe hypothetisch“, sagt Schtejman. Dafür entspreche ihr Produkt genau dem Gebot der Stunde. Sie nennt es: „Romane für müde Intellektuelle. Bücher, die geistreich sind, aber nicht anstrengend.“ Den ewigen Hang ihres Volkes zum Klagen will sie mit Hilfe lebensbejahender Heldinnen und Helden bekämpfen, denen auch in der schlimmsten Situation immer ein Ausweg einfällt – und natürlich ein Witz.

Den folgenden erzählte die russische Feministin Marija Arbatowa in der oben erwähnten TV- Sendung mit Alla: „Eine Mutter mit einem betrunkenen Mann auf dem Sofa, einem Baby an der Brust, neben einem Kleinkind auf dem Topf und einem bekifften Teenager, ruft ihre Freundin an. Die – mit Gesichtsmaske in der Badewanne einen Drink schlürfend – hört am anderen Ende den Satz: Wenn ich daran denke, wie allein du bist, krampft sich mir das Herz zusammen!“