■ Grüne: Joschka Fischer und Rezzo Schlauch mobben ihre Partei
: Die unreifen Obergurus

Es hagelt vernichtende Urteile über den grünen Parteitag: „schwerfällige Strukturen“, „als Regierungpartei noch nicht angekommen“, die Partei ziehe sich „lieber in die oppositionelle Kuschelecke zurück“. Das sind nicht die hämischen Kritiken von Union, FDP und SPD, so urteilt der grüne Fraktionschef höchstselbst. Rezzo Schlauch verteilt Vorlagen für den politischen Gegner, als bewerbe er sich um Westerwelles und Merkels Posten zugleich.

Bereits eine Woche vor dem Erfurter Parteitag hatte der grüne Vizekanzler Joschka Fischer vorgelegt: Die Parteistruktur sei „nicht belastungsfähig“, man müsse sich endlich von alten Dogmen trennen. Es ist der alte Reflex. Gegenüber ihrer Partei ziehen sich die grünen Schwergewichte zurück in die oppositionelle Kuschelecke. Immer noch – als wäre seit Magdeburg nichts passiert. So fällt ihre Kritik auf sie selbst zurück: Wenn es um den Umgang mit ihrer Partei geht, erweisen sich Schlauch und Fischer als erstaunlich regierungsunfähig.

Es gab Zeiten, da machte das Sinn: Mit ihrer schon fast rituellen Distanz zu den Parteitagen zogen Fischer und Co. die Partei in die politische Mitte, machten sie koalitions- und regierungsfähig. Vor einem Jahr, nach dem Parteitag von Magdeburg, verhinderte diese Strategie gar ein Debakel. Da waren es die Promis der Bundestagsfraktion, die den Eindruck von Magdeburg mühsam heilten, die Grünen verrannten sich in Maximalforderungen.

Und nun? Inzwischen hat der Parteitag mehrfach die eingeforderte Vernunft bewiesen. Schon fast gespenstisch mutete die einhellige Zustimmung zum Koalitionsvertrag im vergangenen Herbst an. Selbst in Erfurt konnte Fischer einen Sieg erzielen. Erstmals bekam er eine Zustimmung zu einer Bundeswehrbeteiligung an Kampfeinsätzen im Kosovo. Doch der Außenminister weiß mit solchen Siegen offenbar nichts anzufangen. An die Dauerschelte hat er sich so sehr gewöhnt wie die Partei an ihre Doppelspitze.

Die Grünen haben es derzeit schwer, ihre Positionen durchzusetzen. Das wird nicht einfacher, wenn man auf seine Partei eindrischt, die symbolisch für diese Positionen steht. Auf Parteitagen gilt es wie in der Regierung, Beschlüsse gut vorzubereiten und das Erreichte herauszustellen. Kein führender Bonner Politiker von Union oder SPD würde es sich erlauben, öffentlich so gegen seine Partei ins Feld zu ziehen.

Wo bleibt das vielgerühmte strategische Geschick Fischers? Die Grünen haben sich doch erst auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Leipzig im Dezember mit dem Parteirat eine neue Struktur gegeben. Sicher, das Gremium gilt als noch zu groß. Doch wer das ändern will, muß leise im Hintergrund um Zustimmung werben, statt die Parteidelegierten öffentlich vor den Kopf zu stoßen.

Fischer hat als einer der ersten Grünen begriffen, daß gesellschaftliche Veränderungen Zeit brauchen. Nun muß er nur noch begreifen, daß für eine grundlegende Parteireform dasselbe gilt wie für den Atomausstieg. Matthias Urbach