„Dann schalten wir das Flutlicht ab“

■ Atomwerker demonstrieren gegen Regierungspläne

Eine gespenstische Szene im winterlichen Bonn: Dick vermummte Atomwerker in Strahlenschutzanzügen ziehen nächtens mit Fackeln durchs Regierungsviertel, dumpf hallt der Klang ihrer Plutoniumfässer. Mit heiseren Stimmen skandieren die Arbeiter Schlachtgesänge: „Jetzt oder nie – Atomenergie!“ und „Wenn Dein starker Arm es mag, wird es niemals heller Tag!“.

Die aufgebrachte Menge versammelt sich vor dem Umweltministerium. Zwei Männer schleifen eine lebensgroße Strohpuppe mit sich und lehnen sie gegen einen Laternenpfahl. Mit düsterer Miene bilden die Demonstranten einen Kreis um die Puppe, die einen überdimensionierten Schnauzer trägt. Wie in einem geheimen Ritual bewegt sich ein Arbeiter in die Mitte des Kreises und versetzt der Puppe einen wütenden Fußtritt. „Tritt ihn, tritt ihn!“ johlt die Menge. Schon kommt der nächste an die Reihe, und das denkwürdige Schauspiel wiederholt sich.

Aus allen Teilen der Republik sind die Atomwerker zusammengekommen, um gemeinsam gegen die Pläne der rot-grünen Regierung zu demonstrieren. Mit spektakulären Aktionen wollen sie auf die Gefahren hinweisen, die ihrer Meinung nach im Atomausstieg liegen. Nach dieser Ku-Klux-Klan-artigen Inszenierung befragt, sagt Dirk Wölflein, der Sprecher der Gruppe: „Wir stehen in der Tradition der APO. Die 68er hatten ihr Sit-in, wir unser Tritt-in. Damit wollen wir den bösen Zauber bannen, der auf uns und unseren Meilern lastet.“ Spricht‘s und versetzt dem zerfledderten Strohsack einen letzten haßerfüllten Tritt. Mit Triumphgeheul ziehen die Kernspalter ab.

„Die Öffentlichkeit muß endlich wachgerüttelt werden, damit der Super-Gau der rot-grünen Energiepolitik verhindert werden kann.“ Zu diesem Zweck sind in den nächsten Monaten eine ganze Reihe von außerparlamentarischen Aktionen geplant. „Wir könnten zum Beispiel mal einer ganzen Großstadt den Saft abdrehen, dann können die Chaoten ihr Müsli bei Kerzenlicht futtern. Auch das Abschalten des Flutlichts während einer Bundesligabegegnung könnte den Volkszorn ganz schön aufheizen.“

Neben Lichtblockaden sei auch eine Lichterkette von Flensburg bis Friedrichshafen denkbar – natürlich mit atomgetriebenen Taschenlampen – oder sogar ein Brennstab-Staffellauf von Garmisch nach Gorleben. „Denkt bloß nicht, daß uns so schnell die Ideen ausgehen! Wir haben da noch einiges im Castor, haha!“ Der sympathische Demagoge schüttelt sich vor Lachen. Anders als seinen Kollegen ist ihm offenbar der Humor noch nicht abhanden gekommen. Beim bloßen Gedanken an die unkonventionellen Aktions-Happenings strahlt er schon jetzt wie ein zwischengelagertes Brennelement. Rüdiger Kind