Abschied vom konsumgeilen Karriere-Schnösel

Die Berliner Agentur Fritzsch & Mackat entwirft spezielle Werbekampagnen für Ostdeutschland. Deshalb gelten sie in der Branche als Spalter. Doch die niedrigen Absatzzahlen zwischen Ostsee und Erzgebirge lassen den westdeutschen Markenartiklern keine andere Wahl  ■ Von Ralph Bollmann

Ost-West-Unterschiede? „Gibt's bei uns nicht“, glaubt jeder verantwortungsbewußte Politiker oder Unternehmenslenker antworten zu müssen. Chefs behaupten wahrheitswidrig, sie wüßten gar nicht, aus welchem Teil des Landes ihre Untergebenen stammten. Nicht anders in der Werbebranche. Volker Nickel, Sprecher des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft, lehnt separate Kampagnen für den Osten strikt ab: „Es gibt keine Grenze mehr.“ Was nicht „Einheitswerbung“ sei, laufe Gefahr, im Osten als „Nachhilfeunterricht“ anzukommen, fürchtet man bei der Hamburger Agentur Scholz & Friends: „Wenn der Ostdeutsche mitkriegt, daß für ihn eine spezielle Kampagne läuft, fühlt er sich unter Umständen diskriminiert.“

Seit einem halben Jahr ist alles anders. „Unsere Persil-Kampagne war der Durchbruch“, sagt Alexander Mackat von der Berliner Agentur Fritzsch & Mackat. Erstmals hatte sich ein großer westdeutscher Markenartikler entschlossen, einen speziellen Werbefeldzug für Ostdeutschland in Auftrag zu geben. Den Vorwurf, das Land ein knappes Jahrzehnt nach dem Fall der Mauer erneut zu spalten, mag Mackats Kompagnon Conrad Fritzsch nicht auf sich sitzen lassen. Im Gegenteil, meint er: Nichts spalte das Land so sehr wie die verbreitete Ignoranz gegenüber dem ostdeutschen Lebensgefühl.

Auch wenn die Werber in ihrer Mehrheit mit einer spezifischen „Ansprache“ für ostdeutsche Konsumenten noch immer nicht anfreunden mag, so wächst doch die Minderheit der Andersdenkenden. Und das Zentrum der Bewegung befindet sich auf einer Fabriketage im Berliner Ost-Bezirk Prenzlauer Berg, dem Sitz von Fritzsch & Mackat.

Der Ostdeutsche, sagt Fritzsch, befinde sich in der Lage eines Gesprächspartners, der die Konversation nicht von Anfang an verfolgte. Die Werbung müsse ihm erklären, was bisher geschah. „Da weiß man, was man hat“ – der klassische Persil-Slogan, geht bei Ostdeutschen ins Leere: Woher sollten sie wissen, was sie an dem West-Waschmittel haben könnten? Deshalb müßten „Argumente auf den Tisch“, glaubt Fritzsch. Er entwarf eine Kampagne, die mittels blauer Socken, weißer Bademäntel und eines roten Bikinis den „Langzeitfarbenschutz“ herausstellte.

Persil hat im Osten einen Marktanteil von 22 Prozent, im Westen sind es 35 Prozent. Der Henkel-Konzern kann sich mit dem Erfolg seines Ost-Labels Spee über diese mageren Zahlen hinwegtrösten. Für andere westdeutsche Markenartikler sind ihre ähnlich mageren Absatzzahlen „nicht so richtig lustig“, glaubt Fritzsch – und schwenkt frohgemut eine Liste von Westprodukten, die im Osten „unterrepräsentiert“ sind: „Das sind potentielle Kunden!“

Lange hatten die Hersteller gehofft, ihre Absatzprobleme in den neuen Bundesländern würden sich mit steigenden Einkommen und mentaler Anpassung von selbst erledigen. Das Gegenteil war der Fall: Mit dem identitätsstiftenden Werbeslogan „Hurra, ich lebe noch“ kehrte die legendäre Club- Cola 1993 in die Regale der großen Handelsketten zurück. Die Ostalgie-Welle rollte an, andere Marken folgten. Auch Importprodukte profitierten von der geringeren Bindung an traditionelle Marken aus der alten Bundesrepublik.

Mit bloßen Regionalismen lasse sich der Unterschied nicht erklären, sagt Mackat. Verglichen mit der Sozialisation in einem anderen Gesellschaftssystem seien beispielsweise Mundarten nur „oberflächlicher Krimskrams“. Während eine Regionalkampagne etwa für bayerische Weißwurst gerade die Unterschiede betone, müsse seine Agentur die Gemeinsamkeiten von Ost-Mentalität und West- Produkt suchen. Schließlich dürfen sich die Kampagnen nicht beißen. Es wäre „katastrophal“, findet Henkel-Marketingchef Reinhard Wolfertz, wenn Westdeutsche beim Betrachten der Plakate „Fremdheitsgefühle entwickeln“.

Auch Ostprodukte verkaufen sich inzwischen nicht mehr von selbst. Der Erfolg der Kaffeemarke Rondo, die auf dem Höhepunkt der Ostalgie-Welle in wenigen Wochen den zweithöchsten Marktanteil erreichte, lasse sich ohne Werbung nicht stabilisieren, glaubt Mackat. Schließlich sei die Ostalgie-Phase inzwischen dem „Ostimismus“ gewichen. Der nostalgische Blick zurück bestimmt nicht mehr das Lebensgefühl.

Werbung für den Osten müsse „einen rational nachvollziehbaren Zusatznutzen kommunizieren“, glaubt auch Volker Müller, der beim Leipziger „Institut für Marktforschung“ die Konsumgewohnheiten der Ostdeutschen erforscht. Ein „emotionaler Zusatznutzen“ allein, wie ihn die westdeutsche Lifestyle-Werbung kommuniziere, genüge nicht. Im Gegenteil: Spots und Plakate aus dem westdeutschen „Karrieremilieu“ haben dazu beigetragen, daß der Durchschnittsdeutsche Ost den Durchschnittsdeutschen West für einen konsumgeilen Schnösel hält. Auf besonders wenig Verständnis, so Müller, stoße die gestreßte Hausfrau, die sich in der westlichen Putzmittelwerbung für eine klinisch reine Wohnung abrackert. „Die haben Probleme“, denke sich da der Ost-Fernsehzuschauer.

Zwei Massenprodukte gibt es, bei denen die Theorie vom „rationalen Zusatznutzen“ nicht hilft: Bier und Zigaretten. Damit die populären Ost-Glimmstengel „Cabinet“ nicht mit den treuen Rauchern aussterben, sprechen Fritzsch & Mackat mit einer neuen Kampagne das junge Lebensgefühl Ost an: Gemeinschaftsgefühl, Gasherd, Altbauwohnung. „Auch diese Werbung spricht einen Lifestyle an“, so Marktforscher Müller, „aber eben einen anderen.“