Verstärkte Defensive kommt nicht in Frage

■ Der neue Trainer Jan Wouters befindet sich bei Ajax Amsterdam auf einer unmöglichen Mission

Amsterdam (taz) – Großen Fußball gibt es in der Amsterdamer ArenA zu sehen, wenn die Profis des FC Ajax nicht spielen. In der Mittagspause zwischen zwei Trainingseinheiten läuft im Aufenthaltsraum der Fernseher und zeigt das Champions-League- Match Manchester United gegen Inter Mailand. Aber dann schaltet jemand den Fernseher aus, vorbei der schöne Fußball, plötzlich und unbemerkt. So ging es schon einmal in der ArenA: Als hätte jemand kurz an der Fernbedienung gespielt, verschwand Ajax Amsterdam aus der Weltklasse.

Selbst in einer schnellebigen Branche wie dem Fußball ist solch ein Zerfall einer Ausnahmemannschaft beispiellos. Von den Ajax- Spielern, die 1995 mit offensivem und taktisch überlegenem Fußball die Champions League gewannen, arbeiten heute fünf beim FC Barcelona (Kluivert, Bogarde, Reiziger und die Gebrüder de Boer), Overmars und Kanu bei Arsenal London, Davids bei Juventus Turin – nur für Ajax wird ab kommenden Sommer kein einziger mehr spielen. Mannschaftskapitän Danny Blind (37) hört mit dem Fußball auf, Torwart van der Sar und der Finne Jari Litmanen werden wohl den Verein wechseln, angezogen von größeren Gehältern in der italienischen, spanischen oder englischen Liga.

Eingeschnürt in der kleinen niederländischen Liga, verlor Ajax in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren zwei komplette Teams plus Auswechselbank: 25 Spieler. „Das kann keiner kompensieren“, sagt Trainer Jan Wouters – aber er muß es versuchen. Wouters (38), Anfang des Jahrzehnts bei Bayern München, trinkt den Kaffee schwarz und raucht erst einmal zwei Zigaretten hintereinander weg, als er über seinen neuen Job spricht, den er im Januar vom entlassenen Dänen Morten Olsen übernahm.

Wouters soll Erfolg für Ajax erst einmal neu definieren. Letzter in der Champions-League-Vorrunde war der Verein geworden, im Rennen um die nationale Meisterschaft liegt der Tabellendritte bei 15 Punkten Rückstand auf Feyenoord Rotterdam aussichtslos zurück. Realistisch wäre, sagt Wouters, nächstes Jahr Platz eins im eigenen, kleinen Land anzugehen – und sich darauf einzurichten, anschließend wieder von vorne zu beginnen. Weil die Italiener oder Spanier dann erneut die Spieler wegholen werden. Selbst die Reserve wurde Ajax leergekauft. Ein 19jähriger wie Eli Louhenapessy etwa, der gerade mal 45 Minuten in Ajax' erster Elf spielte, war plötzlich in Udine unter Vertrag. „Die Klubs sehen nur: ,Er kommt aus Ajax' Jugendschule, also muß er gut sein, er kostet keine Ablöse, also geben wir ihm eine Million Gehalt‘“, weiß Blind. „Von den Jungs hörst du nie wieder was.“

Angestrengt versucht sich Ajax in dieser neuen Zeit einzuordnen. Der erste Versuch, so weit es geht, selber als big spender aufzutreten, mißglückte. 15 Millionen Mark Ablöse zahlte man zu Saisonbeginn dem englischen Zweitliga- Absteiger Manchester City für Georgi Kinkladze. Der jedoch greift lieber an der Snackbar als im Mittelfeld an. Nun erwarb Ajax für rund ein Drittel des Geldes einen kompletten Fußballklub, den südafrikanischen Erstligisten Kapstadt Spurs. Er soll zur Zweigstelle Afrika ausgebaut werden und der Zentrale Talente liefern.

Auf die vermutlich einfachste Änderung wollen die Ajacieden jedoch nicht zurückgreifen. In der Not verstärkt defensiv zu spielen, komme nicht in Frage, sagt Wouters: „Ajax ist berühmt für sein stürmisches Spiel, das dürfen wir nicht aufgeben.“ Aber er als ehemaliger Abwehrspezialist müsse die Vorteile einer konzentrierten Verteidigung doch schätzen. „Entschuldigung!?“, sagt Wouters und hebt zum einzigen Mal die leise Stimme: „Ich war kein Verteidiger! Den Ball gewinnen, um damit sofort zu attackieren, das war mein Konzept.“ Verteidiger, so scheint es, ist für einen Trainer des FC Ajax noch immer ein Schimpfwort; das zweitschlimmste vielleicht. Das schlimmste mußte sich Wouters' Vorgänger Olsen anhören. Der Däne, stänkerte Stürmer Ronald de Boer, sei „ein deutscher Trainer“. Ronald Reng