Gefahrlose Zigaretten

In den Schubladen der Tabakkonzerne liegen seit Jahren schon Produktionsverfahren für weniger gesundheitsschädliche Zigaretten. Aus Angst vor dem Imageverlust durften sie jedoch nicht eingesetzt werden  ■ Von Wolfgang Löhr

Die Tabakindustrie habe schon seit langem gewußt, daß Rauchen gesundheitsschädlich ist. Sie hätte schon längst „weniger gesundheitsschädliche Zigaretten“ herstellen können, klagten vergangene Woche britische Wissenschaftler die großen Tabakkonzerne an. Tausende von Todesfällen hätten damit verhindert werden können. Im Auftrag des britischen Anti-Raucherverbandes „Action on Smoking and Health“ (ASH) und des „Imperial Cancer Research Fund“ (ICRF), des britischen Krebsforschungszentrums, hatten die Wissenschaftler die Datenbanken von Patentämtern durchforstet und zahlreiche von der Tabakindustrie angemeldete Erfindungen entdeckt, mit der eine „sicherere Zigarette“ hätte hergestellt werden können. Sie seien aber nie eingesetzt worden.

Alles, was ein Raucher wolle, sei Nikotin, sagte der Mediziner Martin Jarvis vom ICRF bei der Vorstellung der Studie. Zusätzlich zum Nikotin bekomme er aber mit der Zigarette auch 4.000 andere Bestandteile, von denen viele gesundheitsgefährdend seien. Die Tabakindustrie habe nie ernsthaft versucht, diese giftigen Bestandteile zu reduzieren. Und das, obwohl Verfahren dafür schon seit Jahrzehnten zur Verfügung standen.

Über 50 Patentanmeldungen, die in den letzten 25 Jahren allein in den USA eingereicht wurden, haben die Anti-Raucher-Organisationen in ihrer Studie aufgelistet. Der deutsche Tabakkonzern BAT zum Beispiel meldete unter der Patentnummer 4182348 eine Zigarette mit eingebauten Katalysator an. Dem Tabak sollte eine Substanz M2M'Ru06 beigemischt werden, die sowohl das schädliche Kohlendioxid als auch die krebserzeugenden Stickstoffverbindungen im Rauch reduziert.

Philip Morris setzte dagegen auf ein Extraktionsverfahren. Die Inhaltsstoffe sollten zuerst mit einem Lösungsmittel aus den Tabakblättern herausgespült werden. Aus der flüssigen Lösung wollte man dann einen Teil der schädlichen Verbindungen entfernen. Die übriggebliebenen Inhaltsstoffe, unter anderem das Nikotin, sollten anschließend wieder in die Tabakkrümel eingebracht werden. Das Resultat: eine Zigarette mit reduziertem Rauchgehalt an Nitrooxiden, Kohlensäure und Bläusäure.

Auch High-Tech-Zigaretten landeten beim US-Patentamt. So ist unter der Patentnummer 4215708 eine Zigarette mit einem „Nachbrenner“ beschrieben. Eine aufwendig in die Zigarette eingebrachte batteriebetriebene Apparatur sollte für eine erhöhte Verbrennungstemperatur sorgen. Der Rauch dieser Zigarette sollte weniger Teer enthalten und ganz frei von dem Atmungsgift Monooxid sein.

Während diese Liste für den Mediziner Jarvis ein Beweis dafür ist, „daß die Tabakindustrie längst schon Zigaretten produzieren könnte, die weniger schmutzig sind“, wiedersprechen die Zigarettenhersteller heftig. „Die Tatsache, daß es diese Patente gibt, bedeutet nicht“, sagte John Carlisle, der Sprecher der britischen Tabakproduzenten, „daß sie funktionieren und wirksam sind.“

Heftig angegriffen wurden von der Anti-Raucher-Koalition auch die Light-Zigaretten. Sie würden zwar weniger Teer und Nikotin enthalten. Die Raucher würden aber mehr von diesen Glimmstengeln konsumieren, damit sie ihren Nikotinpegel halten können. Bei der Einführung dieser Zigaretten hat die Tabakindustrie auch peinlichst darauf geachtet, nicht mit einer „reduzierten Gesundheitsgefahr“ zu werben. Das hätte ja schließlich die herkömmlichen Produkte in Mißkredit gezogen, meinte Jarvis. Für ihn ist das auch der Grund dafür, warum die von der Tabakindustrie angemeldeten Verfahren auch nie eingesetzt wurden. Sie hätten dann auch zugeben müssen, daß ihre Zigaretten eine Gefahr für Gesundheit und Leben darstellten. Daß der Mediziner vom ICRF mit seiner Vermutung richtigliegt, zeigt ein Zitat vom Patrick Sheehy, dem ehemaligen Chef beim britischen Tabakverband. In einem vertraulichen Schreiben warnte er, die Versuche zur Entwicklung einer sicheren Zigarette könnten so interpretiert werden, daß man der Ansicht sei, die eigenen Produkte seien nicht sicher. „Diese Position“, so Sheehy, „sollten wir nicht einnehmen.“

Eins jedenfalls ist klar: Eine unschädliche Zigarette wird es nicht geben. Daran wird auch die Ankündigung des australischen Unternehmens Vapotronics nicht ändern. Dessen Direktor, Robert Voges, teilte Mitte Februar mit, daß seine Firma in drei Jahren eine „rauchfreie Zigarette“ auf den Markt bringen will. Das neue Produkt muß erst gar nicht angezündet werden. „Es hat genau die gleiche Form und Größe wie eine Zigarette, besteht aber aus Hartplastik oder Keramik“, teilte Voges mit, „Nutzer erleben jedoch genau den gleichen physischen Effekt wie bei einer konventionellen Zigarette.“ Es funktioniert ähnlich wie ein Inhalationsgerät: Über feine Düsen werden winzige Mengen an Nikotin freigesetzt, die vom Raucher eingeatmet werden. Der Vorteil: Der Raucher bekommt seinen Suchtstoff, die zahlreichen sonstigen gesundheitsschädlichen Substanzen entstehen aber erst gar nicht. Und auch die Mitmenschen bleiben davon unbehelligt.