In dünner Luft

Der vernichtende Erfolg einer Weltanschauung und Dialektik als Bewegung der Generationen: Gibt es überhaupt noch eine Jugend? Atmosphärisches zur Lage der Grünen, vom österreichischen Ausland aus betrachtet  ■ Von Walter Klier

„Daß das grüne Milieu, die grüne Kultur heute bei den Jungen so was von uncool, mega-out sind“, sagt der Redakteur beim Gespräch zu dem Thema, über das ich für ihn schreiben soll. Das stimmt, denke ich mir, jedenfalls für mich selber, der ich schon länger kein Grüner mehr bin, jedenfalls keiner, wie ich einmal einer gewesen bin. Ich trenne den Müll so brav wie eh und je; dabei hilft mir meine Stadtverwaltung, so gut sie kann. Sie ist also mindestens so grün wie ich, was den Müll anlangt und die Reduktion von CO2 und SO2, und auch bei der Verwendung des großen I in öffentlichen Verlautbarungen. Und sonst? Gegen das Böse und für das Gute? Aber wer wäre das nicht?

Was fehlt? Fehlt was?

Die deutschen Grünen sitzen in der deutschen Regierung, und wen sollte wundern, daß das nicht ganz ohne Konflikte abgeht. Verwundern müßte eher, daß Vertreter utopischer Glaubensrichtungen, wie es die Grünen (auf eine andere Weise auch die PDS) sind, so brav am demokratischen Spiel teilnehmen, wie sie es tun. Die preußisch- herbe Note, die der wenig umgänglich wirkende Herr mit dem Schnauzbart ins Geschehen einbringt, wird von den staunenden Ausländern weniger als „grün“ denn als „deutsch“ rezipiert. Er wirkt, wie früher rechte Politiker gewirkt haben, Strauß oder Streibl, im Vollgefühl der Macht, doch ideologisch untergründig angekränkelt und deshalb aggressiv.

Nun haben die Grünen eine Landtagswahl verloren. Der Grund, so heißt es, sei der Streit um die „doppelte Staatsbürgerschaft“, ein Streit, der (vom Ausland aus) ziemlich scholastisch wirkt, wo eine pragmatische Lösung not täte. Warum Menschen in Deutschland nicht wie alle anderen Menschen auf dieser Welt in der Regel nur eine Staatsbürgerschaft, in Ausnahmefällen allerdings vielleicht auch zwei haben sollen, oder andererseits warum nicht, ist dem Nichtdeutschen in diesen Wochen nicht klar geworden. Klar geworden ist lediglich, daß hier mit dem Küchenmesser an einer Herzensfaser deutscher Identität geritzt und geschabt wurde, und das konnte nicht gutgehen in einer Zeit, da die Deutschen sich endlich wieder ungestört mit ihrem Lieblingsgegenstand, nämlich sich selbst, beschäftigen dürfen. (Für den Ausländer daran kenntlich, daß seine deutschen Briefpartner seit einigen Jahren das „D“ vor der Postleitzahl vergessen. Es gibt ja nur noch ein Land.)

Hat sich mit der Hessen-Wahl wirklich was geändert? Grüne Wähler wählen seit langem Grüne in alle möglichen Parlamente, immer zwischen drei und elf Prozent, selten mehr, kaum weniger. Wenn dem „Volk“ was mißfällt, wählt es wieder einmal die anderen, um die einen zu erschrecken. Normale demokratische Politik, kein Grund zur Sorge über den Tag hinaus.

Das Utopische fehlt. Die Apokalypse auch

Die Grünen, die als Partei Politik machen und Wahlen gewinnen wollen, haben Angst, vom Zeitgeist abgekoppelt zu sein; (vielleicht so, wie es die Revolutionäre von 1848 waren, als sie das Establishment des wilhelminischen Reiches bilden sollten). Mit zentralen Teilen der Weltanschauung haben sie in – historisch gesehen – kürzester Zeit Erfolg gehabt, so sehr, daß man ihn nicht mehr sieht. Die Gesellschaft, vergeßlich und selbstzufrieden, wie sie ist, hat die Ökologie als zentralen Wert akzeptiert und in ihr Funktionieren eingebaut. Der Fundamentalkritik wird durch das schnelle und flexible Reagieren des kapitalistischen Systems immer von neuem die Spitze genommen. Nun geben die sogar die Atomenergie auf. Nicht gerade morgen – aber wer hätte das vor zehn Jahren überhaupt für eine realistische Option gehalten? Die zivilisierende Kraft wirtschaftlicher Pragmatik hat im utopischen Denken eine hoffnungslose Zerstreuung bewirkt.

Was im politischen Alltagsleben verlorenging oder sich verdünnt hat, ist die Gewißheit von früher, dieses gleichsam mystische Wissen um die Kausalitäten, das den Brennstoff abgab für die Müh und Plage, die man auf sich nahm, um der Welt zu ihrem Glück zu verhelfen.

Der Wald starb, die Weltmeere starben, Wale und Robben und die rote Waldameise und ganze Reihen von Indianerstämmen. Danach erhitzte sich auch noch die Atmosphäre, und schuld war jedes Mal die Wirtschaft, die Zivilisation, das Kapital, unser ganzes System, you name it, wie der Amerikaner sagt, der übrigens in besonderem Maß an allem und jedem die Schuld trug. So einfach war das.

In der Postmoderne steht nun jede Woche ein anderer Wissenschaftler auf und verkündet eine andere Kausalität. Eine Woche kommt der HI-Virus von Affen, die 1980 zum ersten Mal einen Menschen gebissen haben, wobei sie den Virus flugs übertrugen (oder halbgar von Menschen verzehrt wurden, mit demselben Resultat); in der nächsten Woche (weil es draußen grade friert) ruft der Treibhauseffekt via El Niño europaweite Abkühlung hervor; während letzten Sommmer (als es gerade 14 Tage lang heiß war) Bayern in den nächsten 30 Jahren zu versteppen drohte. In dem Augenblick, wo alles geht, büßt apokalyptisches Denken rasant an Überzeugungskraft ein.

Und beim Kampf um die notorische Ölplattform in der Nordsee verlor Greenpeace (gewissermaßen die Jesuiten der Grünen) mit Manipulationen am wissenschaftlichen Ethikprinzip die Unschuld; mit einer wenig hinterfragten Wissenschaftsgläubigkeit ist die klassisch-grüne Methode, mit „Wissenschaft“ im unmittelbaren Katastrophenfall die richtige unter den bereitliegenden Kausalitäten zu finden, sinnfällig auf Grund gelaufen.

Was wird aus der globalen Weltsicht an der Basis: tausend Bürgerinitiativen, die kaum mehr sind als der Ausdruck des geballtesten Egoismus der kleinsten denkbaren Gruppe. In meiner Stadt (100.000 Einwohner) gibt es welche gegen Fluglärm, gegen einen Autobahnknoten, gegen einen Krematoriumsbau und eine landesweite gegen den Transitverkehr. Nach dem uralten Prinzip: „Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andre an“ ist man gegen alles Mögliche, was einen jenseits des eigenen Gartenzauns ärgert. Ist das grün?

Und wo bitte bleibt die Jugend?

Die wenigen Vertreter dieser aussterbenden Spezies, die ich persönlich kenne, sind so grün, wie wir es nie gewesen sind. Sie rennen die offenen Türen ein, die wir mühsam aufgedrückt haben, und dann gleich noch die dahinter liegenden versperrten, an die wir nicht wirklich als Türen gedacht haben. Sie sind Ultra-Fundamentalisten, vor allem was das Verhältnis zu anderen Lebewesen betrifft. Sie essen kein Fleisch, und wenn man die Katze des Nachbarn schief anschaut, weil sie zum siebten Mal auf unseren Fußabstreifer gepieselt hat (sie kann unsere Katze nicht leiden), riskiert man damit eine schwere Rüge. Das Tier ist heilig, die Pflanze auch. Salat darf man grade noch essen, weil man ja irgend etwas essen muß. Sie haben das in der Schule von ihrer Lehrerin gelernt, die meiner Generation angehört. Ihre Empörung gegen die Realität ist jugendfrisch und völlig parteifrei. Die Grünen sind im besten Fall ein kleineres Übel, aber nicht Träger einer Hoffnung.

Das ist die eine Hälfte der Jugend. Die andere Hälfte lebt im Internet und ist in einem Maß strebsam und konformistisch, wie wir es uns ebenfalls nie hätten träumen lassen. Sie sind auf eine unaggressive Weise eins mit sich und der Welt, geradezu verstörend zufrieden mit dem, was diese ihnen bietet. In ihrem weiten, freundlichen Weltbild hat die ganze Ökologie Platz, aber es ist schwer feststellbar, ob es überhaupt eine politische Partei gibt, an die sie dabei denken oder zu der sie irgendeine Affinität haben. Die grüne Partei altert derweil vor sich hin (wie alle Parteien), als Interessensvertretung von Pädagogen und anderen endlich doch im Staatsdienst gelandeten Besserverdienenden.

Aber vielleicht ist es noch viel einfacher. Dialektik, die wir für die Bewegung des Denkens hielten, ist tatsächlich eine Bewegung der Generationen. Was immer gilt, ruft in der folgenden sein Gegenteil hervor. Grünen ist alt. Die nächste Generation will das Andere, egal was das Eine vorher war. Die Generation der Eltern hat versucht zu verhindern, zu begrenzen, einzuhegen, hat „Widerstand“ geleistet. Die Internet-Generation ihrer Kinder akzeptiert die Welt, geht hinaus, umfaßt und nimmt, was sie kriegen kann. Wir Alten haben zwanzig Jahre gebraucht, bis wir wußten, was wir für einen Beruf ergreifen wollten. Die Jungen wissen es mit 15 und arbeiten drauf hin. Für sie ist Amerika ein Studienplatz am MIT, während es für uns ein böser alter Mann mit einer Atombombe war.

Wir zogen uns schlecht an, sie ziehen sich gut an. Wir nörgelten, klagten, litten ödipal am gutbürgerlichen Elternhaus, waren marxistisch und gaben uns psychoanalytisch gebildet. Wir verliehen Institutionen ganz allgemein das Prädikat „abzulehnen“. Sie gehen in die Schule und auf die Universität wie in ein Kaufhaus: um etwas zu bekommen.

Für uns war sogar der Besuch im Programmkino (nur O.m.U.!) ein Akt des Widerstandes. Sie gehen hin, weil das alle tun – wenigstens das haben wir bewirkt. O.m.U. gibt es inzwischen im Cineplex. Die grüne Kultur, wie sie einmal war, können wir selber nicht mehr aushalten. Wir sitzen selber lieber im Cineplex. Und überhaupt: Welche Kultur hätten die Grünen denn heute? „Unsere“ war die der sechziger Jahre, und die war nicht grün. Bei Leonhard Cohen oder Lou Reed werden wir sentimental, bei ... – aber da fallen mir keine Namen ein, da war keine Kultur, da war nur das, was man seither auch als Kultur bezeichnet: eine Lebensart, die sich dies und das zusammensucht. Auch das haben wir bewirkt.