Saubere Briefkästen

■ Eine Petition an das Europaparlament fordert ein Verbot unverlangter Werbemail

Solange die Zensur vom Staat ausging, war die Welt der Netzgemeinde noch in Ordnung. Man war dagegen. Aber schon lange haben auch die Gremien der EU den besonderen Charme des freien Datenverkehrs entdeckt. Die Kommission betrachtet nicht nur kommerzielle Websites und Firmennetze als Wirtschaftsfaktor, sondern ebenso den privaten elektronischen Briefkasten. Sie will ihn von allen Vorschriften freihalten, die dem wachsenden Internetmarkt im Wege stehen könnten. Insbesondere soll nach einem Kommissionspapier unter dem ominösen Titel „Über bestimmte rechtliche Aspekte des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt“ auch die Werbung per E-Mail ausdrücklich erlaubt sein.

In den ersten Fassungen des abkürzend „Haftungsrichtline“ genannten Entwurfs sollte diese Regel ohne jede Einschränkung gelten. Unter dem Eindruck der in den USA viel früher und heftiger entbrannten Diskussion um „unerwünschte Mail“ wie auch einiger Richterentscheidungen in Deutschland sind inzwischen gewisse Bedingungen hinzuformuliert worden. Nach der am 18. November veröffentlichten Fassung muß Mailwerbung als solche gekennzeichet und der Absender eindeutig identifizierbar sein. Zudem hat eine Werbeaussendung immer dann zu unterbleiben, wenn der Empfänger sie seinerseits ausdrücklich ablehnt.

Am 29. März will die Kommission ihr Regelwerk verabschieden, mit einer Umsetzung in den Mitgliedsländern rechnet jedoch niemand vor dem Jahr 2000. Denn gerade mit ihren als Kompromiß gedachten einschränkenden Bedingungen für den Versand elektronischer Werbung hat die EU-Kommission den Streit um die gemeinhin „Spam“ genannte unverlangte Mailwerbung erst richtig angefacht. Zuvor waren in Deutschland lediglich vereinzelt Proteste gegen die nach amerikanischem Vorbild zu befürchtende Verstopfung der privaten wie auch der gewerblichen Mailadressen laut geworden. Nun aber sah sich die Lobby der deutschen Online-Agenturen veranlaßt, ihrerseits die EU-Kommission vor weiteren Auflagen für die Mailwerbung zu warnen.

In einer Presseerklärung wandte sich der „Deutsche Multimedia Verband“ (dmmv) im Januar an die Öffentlichkeit. Diplomatisch verbindlich formulierte der Text: „Das Verschicken von Werbemails wird erlaubt sein. Uns ist wichtig, daß die Massenversendung von E-Mails auch in der Zukunft nicht unter Strafe gestellt wird, weil hier ein legitimes Interesse der Anbieter gegeben ist.“

Der Sinn der Botschaft wurde nicht nur in Brüssel verstanden, sondern ebenso in der deutschen Netzgemeinde. Das erste Opfer seiner Kampagne war der dmmv selbst: Sein Briefkasten quoll über von geharnischten Protesten. Eilig, aber viel zu spät versuchten gleich mehrere Sprecher des dmmv, die Erklärung geradezurücken. Der Text sei völlig falsch als Plädoyer für den hemmungslosen Spam verstanden worden. Vielmehr verweise er auf die Kennzeichnungspflicht hin, die auch in den EU- Richtlinien enthalten ist. Tatsächlich hatte schon die erste Pressemitteilung näher ausgeführt, mit der Kennzeichnung der Werbemail werde „dem Nutzer eine einfache und schnelle Einschätzung des Inhalts ermöglicht. Ein einfacher Klick, und die Mail wird gelesen oder nicht.“

Genau das aber empört die Spamkritiker ganz besonders. Filterprogramme und Löschtaste kommen im heute allgemein üblichen Internet-Briefkastensystem („POP3“) regelmäßig zu spät. Sie wirken erst, wenn der Schaden schon eingetraten ist. Nur eine Mail, die bereits übertragen wurde, kann beim Empfänger gelöscht werden, und mit diesem Argument beruft sich der Protest in Deutschland auf höchstrichterliche Entscheidungen gegen Werbung per Fax oder über das seinerzeit neuartige Btx-System der damaligen Bundespost. Solche Werbung belaste nämlich den Empfänger mit Kosten, hatte der Bundesgerichtshof entschieden, die ihm nicht zuzumuten seien, wenn er eine solche Zusendung nicht verlangt habe.

Ähnliches müsse auch für die E-Mail gelten, lautet das vielfach variierte Grundargument der Spam-Kritiker, die sich jetzt nicht mehr nur mit Protestbriefen, teuren Musterprozessen und Diskussionen in der für Deutschland einschlägigen Newsgroup „de.admin .net-abuse.mail“zur Wehr setzen wollen. Der Heise Verlag, Herausgeber des Computermagzins c't, und die aus der vielbeachteten Website „wahlkampf98“ hervorgegangene Hamburger Initiative „politik-digital“ rufen seit Anfang des Monats zur Unterzeichnung einer Petition an das Europäische Parlament auf. Abrufbar ist sie unter www.politik-digital.de/spam/ de/. Mit einem öffentlichen Statement unterstützt sie unter anderem Willy Loderhose, seines Zeichens Chefredakteur des nicht eben im Ruch der Kommerzfeindschaft stehenden Magazins Tomorrow. Zu den Erstunterzeichnern gehört der notorische Internetfan und SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss. Von genau 13.709 weiteren Usern in ganz Europa ist die Petition bisher unterschrieben worden – an der Spitze liegt Deutschland mit 11.769 Teilnehmenden.

Wie halten wir es mit dem Staat?

In der Präambel heißt es: „Als Nutzer von Online-Diensten und des Internet befürchten wir, daß unseren Interessen bei der anstehenden Regelung von kommerzieller Werbung per EMail nicht Genüge geleistet wird.“ Vier Hauptforderungen schließen sich daran an: „Kommerzielle Werbe- EMail“ dürfe – erstens – nur an Empfänger versandt werden, „soweit und solange diese dem Empfang zugestimmt haben“. Zweitens dürfen nach Meinung der Petenten weder „Kosten“ noch „Aufwendungen oder sonstige Belastungen für die Vermeidung von Werbe- EMails entstehen“. Die dritte Forderung richtet sich gegen den im Schatten der Mailwerbung blühenden Schwarzhandel mit Kundenlisten: „Werbetreibende müssen auf Anfrage lückenlos nachweisen können, wo sie eine EMail- Adresse erworben haben.“

Mit bloßen Absichtserklärungen schließlich wollen sich der Heise Verlag und die Hamburger Initiative nicht mehr zufriedengeben. Sie stellen fest, daß bisher alle „Versuche der Selbstregulierung von EMail-Werbetreibenden, mit denen man einem Eingreifen des Gesetzgebers zuvorkommen wollte“, gescheitert seien. Deshalb fordert die Petition – viertens – Sanktionen: „Das Versenden von Werbung an Kunden, die dem nicht zugestimmt haben, oder das Verwenden von gefälschten Absenderinformationen darf für den Absender nicht folgenlos bleiben.“

Worin diese Folgen bestehen könnten, wird nicht weiter ausgeführt. Doch diese letzte Forderung der Petition rührt an den wunden Punkt des Netzgewissens. Wie halten wir es mit dem Staat? Im Diskussionsforum, das „Politik-digital“ in seiner Website eingerichtet hat, zweifelt niemand daran, daß Mailspam ärgerlich ist. Einer beklagt sich etwa, daß er ständig Werbung von Autohändlern bekomme, obwohl er nicht einmal einen Führerschein besitze.

Etliche Beiträge jedoch warnen davor, den Staat zur Hilfe zu rufen. Das Argument liegt auf der Hand: Wer Werbemails wirksam kontrollieren will, muß den privaten Datenverkehr überwachen. Aus dem staatlichen, mit Strafandrohungen bewehrten Werbefilter könnte schnell eine Zensurbehörde entstehen, die sich – anders als bisher – auf geltendes Recht der EU stützt. Netzpioniere erinnern angesichts dieser Gefahr hier und in der entsprechenden Newsgroup daran, daß nach der sogenannten Netiquette des Usenets kommerzielle Massensendungen schon immer verpönt waren. Sie setzen darauf, daß ähnliche Selbstregelungsmechanismen für die Mailwerbung wirksam werden. Einigkeit herrscht indessen darüber, daß die im Usenet zulässige Höchststrafe des „Mailbombing“ gegen notorische Missetäter nicht angemessen sei. Man könne und dürfe Spam nicht mit Spam bekämpfen, lautet der Grundkonsens des Forums wie auch der Petitionsinitiative.

Wie aber dann? Die Petition schlägt die in den USA viel diskutierte „Opt-in“-Lösung vor: Internetprovider oder eigens einzurichtende Werbeserver führen Listen von Netz-Usern, die sich damit einverstanden erklärt haben, Mailwerbung zu erhalten, sei es allgemein oder nur aus bestimmten Interessengebieten. Davon, schließt die Petition treuherzig und ohne Rücksicht auf die im Netz ebenfalls virulente Kritik an kommerziell nutzbaren Nutzerprofilen, profitierten auch die „Werbetreibenden“. Sie könnten solche Listen „gegen ein Entgelt“ erwerben. Niklaus Hablützel

niklaus@taz.de