Neuanfang für eine Geächtete

■ Uraufführung von Liebermanns Oper Freispruch für Medea

Die Kinder- und Männermörderin, die verliebte Zauberin, die zur bösen Hexe mutiert, die skrupellose Machtpolitikerin, die über Leichen geht, die Hysterische, die Rachsüchtige, die Hinterhältige, die Grausame – das Bild der Medea, wie es die Mythen erzählen, könnte kaum negativer und deswegen wohl auch kaum herausfordernder sein. Seit Euripides haben immer wieder männliche Autoren den Konflikt zwischen der kolchischen Priesterin und dem griechischen Vlies-Dieb Jason in sehr unterschiedliche Interpretationen gefaßt: Heiner Müller und Seneca, Grillparzer und Anouilh, Corneille und Hans Henny Jahnn, Ovid oder – im Bereich des Singspiels – Nicolas Etienne Framéry für Cherubinis Oper haben die die Angst vor dem starken Weib bearbeiteten.

Erst in diesem Jahrhundert versuchen auch Frauen in Form von Ehrenrettungen oder Uminterpretationen die Medea-Gestalt ihrer symbolischen weiblichen Bösartigkeit zu entreißen. Zu diesen gehört auch Ursula Haas, deren Roman Freispruch für Medea Rolf Liebermann zu einer Zusammenarbeit veranlaßte, die nun in der gleichnamigen Oper resultierte. Das Auftragswerk der Staatsoper wird am kommenden Sonntag seine Uraufführung erleben.

Wie schon Haas' Titel besagt, wird hier eine Medea gesucht, die weniger als tragische Figur, denn als emanzipierte Frau auftritt. Dazu wird der Mythos quasi neuerfunden. Jason als kolonialer Eroberer, der in die friedliche Welt des kaukasischen Matriarchats einbricht, ist, zumindest wenn man Haas' Libretto und Liebermanns Äußerungen glauben darf, ein egomanischer, grausamer Unterdrücker und Betrüger. Medea dagegen, von der Schönheit des Brutalen erregt Jason folgend, durchläuft in der Ferne einen Abnabelungsprozeß, der mit den Schlußsätzen „Medea kehrt zu sich zurück. Im Abschied nicht verloren.“ einen hoffnungsvollen Neuanfang erkennen läßt.

Inwiefern es Regisseurin Ruth Berghaus gelingt, aus dieser literarischen Retourkutsche Differenziertheit zu schlagen, wird sicherlich über den tatsächlichen Gehalt dieser Neuschöpfung entscheiden. Der Musik von Rolf Liebermann, dem beliebtesten Hamburger Intendanten aller Zeiten, dürfte dagegen auch ungehört die volle Sympathie der Hanseaten gelten. Till Briegleb

So., 19.30 Uhr, Mi., 19 Uhr, Hamburgische Staatsoper