Kutips zum Wochenend

Geneigte Leserin, gekrümmter Leser, der EURO-Kurs steigt, die Weser fällt, die Wirtschaft jubelt, der Frühling kommt, und ohnehin wird alles besser, seit Oskar Lafontaine sich von der politischen Bühne verabschiedet hat. Haben Sie nicht auch den Eindruck, daß der Gesang der Vögel fröhlicher ist als noch vor einer Woche? Mit jeder Krise und jedem Abtritt scheint diese Bundesregierung jedenfalls etwas von der September-Aufbruchstimmung zurückzugewinnen. Doch bevor wir hier darüber spekulieren, welch' ein Ruck erst durch dieses Land gehen wird, wenn niemand mehr an der Regierung ist, wenden wir uns einem anderen Thema zu: der Kunst gelungener Kommunikation im Internetzeitalter.

Mit einem :-) fängt alles an. Wer darin mehr sieht als die Folge Doppelpunkt, Bindestrich (Divis) und abschließende Klammer, gehört schon zum Club. Und wer bei der Zeichenfolge ;-) die Zeitungsseite in Gedanken ohne Zögern um 90 Grad dreht und ;-) ganz richtig als lächelndes Augenzwinkern deutet, ist mitgehangen-mitgefangen in den neuen Netzen aus Internet, Newsgroups, Mail und Chat. Denn auch in der Ära von telekom, nordcom, o.tel.o und so gehören Telefonrechnungen von monatlich 60 Mark und weniger (Singlehaushalt; 120 Mark bei Verheirateten) der Vergangenheit an. Heutzutage geht der halbe Lohn dafür drauf. „Wenn ich dir eine Mail schicke“, sagt ein alter Hase aus unserer Mitte, „gehe ich davon aus, daß du sie auch sofort liest.“ Und weil wir immer auf alte Hasen hören, wird jeden Feierabend die Mailbox abgefragt und – wo man schon mal drin ist – der gesamte Paperball-Inhalt heruntergeladen (Tageszeitungssammlung im Internet www.paperball.de), ein bißchen gechattet, ein bißchen hier und ein bißchen dort geguckt, bis nach 30 Sekunden schon wieder vier Stunden vergangen sind. Also kommt es darauf an, die Zeit anderswo einzusparen.

Gerade kürzlich hat ein Clubneuling aus unserer Mitte zum ersten Mal gechattet. Weil sein Geschlecht durch das Pseudonym nicht klar erkennbar war (und auch im echten Leben nicht unbedingt klar ...), konfrontierte ihn ein Rüpel sofort mit den Zeichen „m?“ Statt der Formulierung „Darf ich mich freundlichst danach erkundigen, ob Sie Ihr Da-sein mit oder ohne Y-Chromosom fristen?“ nur dieses „m?“

Uns Zeitungsmenschen – gerade aus der technikfreundlichen Kulturredaktion – gibt so etwas zu denken. Wo die neuen Zentralorgane des jugendorientierten Entertainments sich mit Schriftgrößen, ähem, Schriftkleinen von fünf Punkt und winziger gegenseitig unterbieten, kommt die wahre Innovation aus dem Netz. Und was eignet sich besser für eine Veranschaulichung als die Kutips. Zur Erinnerung: Die „Kutips zum Wochenend“ waren mal eine Sammlung von Veranstaltungshinweisen, bevor die neue Mitte sie in ein Wort zum Wochenende verwandelte.

Wohlan: „BT“ wäre ganz einfach Bremer Theater, „SC“ die Shakespeare Company. „ooo“ eine Gesangsdarbietung mit mindestens drei Stimmen, –:-O einen Punk und 333 ein Orchester.

Folgt der Kutip: O-ooo-.... + 333-.... a, 14/3/99/20, Ä‘, ß..., ß...177, ?‘?, CH:-O. taz

Auflösung: Der Osterchorsteinway und das Orchestersteinway spielen am Sonntag, 14. März, um 20 Uhr in der Friedenskirche Humboldtstraße, Humboldtstraße 177 die „Passion“ von Carl Heinrich Graun.