Ökolumne
: Chaostage bei der Bahn

■ Verspätungen, Unfälle, mieser Service – die permanente Provokation

Alle reden von der Bahn. Von den Unfällen, den Pannen. Keine(r) mehr vom Wetter. Dabei ist die Bahn AG schon im „Normalbetrieb“ ein Panne. Wie der Bahnhof in Bischofsheim nahe Rüsselsheim. Die Überdachung der Bahnsteige: abgerissen. Reisende stehen im Regen. Die Anzeigetafeln: außer Betrieb. Das Bahnhofsgebäude: völlig verdreckt. Fahrpläne: Fehlanzeige. Fensterscheiben: eingeschlagen. Aus dem verwitterten Lautsprecher kommt selten ein Hinweis auf die inzwischen normalen Verspätungen. Und wenn doch, rattert garantiert ein lärmender Güterzug vorbei. Alles Schikane. Dabei ist Bischofsheim ein wichtiger Umsteigebahnhof. Dort kreuzen sich die Fahrstrecken Wiesbaden über Mainz nach Frankfurt und Wiesbaden über Mainz nach Darmstadt. Bahnhof Bischofsheim: ein ständiger Unfall.

Szenenwechsel. „Technische Störung“ auf der S-Bahn- Fahrstrecke Hauptbahnhof Frankfurt nach Westen; immerhin fünf S-Bahn-Linien. Nichts geht mehr. Stundenlang. Reisende sollen statt dessen die Regionalbahn nehmen. Die steht 30 Minuten lang „abfahrbereit“ im Sackbahnhof. Warum? Keine Auskunft. Dann fährt die Bahn los; um kurz darauf auf freier Strecke zu halten. Für rund 20 Minuten. Warum? Keine Ahnung. Am Ende endlich im Westbahnhof angelangt. Fahrzeit für acht Kilometer: 55 Minuten. Die Fahrgäste toben. Und dann ist auch noch die Rolltreppe kaputt.

Zwei Beispiele aus der täglichen Praxis der Bahnreise. Die permanente Provokation. Management by Chaos. Für was verwendet die Bahn AG eigentlich die Gewinne etwa der „Mitropa“? Da kostet im ICE ein Becher mit heißem Wasser und einem Tee-Beutel darin knapp 5 Mark. Bruttogewinn: 4.60 DM. Bahnfahren? Nein danke! Verbrennen oder ersticken bei einem Brand in einem der zahlreichen Tunnel auf den ICE-Strecken, in denen es auf zehn Kilometern nur einen Notausgang gibt? Da resigniert die Feuerwehr. Alles Irrsinn. Die Kommunen an der im Bau befindlichen ICE-Neubaustrecke Köln-Frankfurt verlangen heute schon Nachbesserungen der gerade fertigen Tunnels. Und auf den bestehenden Strecken müßten die Systeme umgehend optimiert werden, fordern Sicherheitsbeauftragte. Die Bahn AG sperrt sich – bis zum nächsten Unfall: Dimension Eschede.

Der Fehler liegt im System. Die privatisierte Bahn verhält sich wie die Hoechst AG seinerzeit in der (Störfall-)Krise. Ökonomie geht vor Sicherheit und Service. Rationalisierung seit 1993 um jeden Preis. „Die Unfallzahlen sind seit Jahren rückläufig“, behauptet Bahn-Boß Johannes Ludewig. Doch keine(r) glaubt ihm. Und weil es finanziell eng ist, werden weiter Stellen abgebaut: Rund 18.000 Menschen sollen nach einem offiziell noch nicht bestätigten Konzept der Bahn AG noch in diesem Jahr entlassen werden. Noch weniger Sicherheit dann zur Jahrtausendwende? Noch weniger Service? Da freut sich die Lufthansa. Der Vorsitzende des Aufsichtsrates, Günther Dürr, vor Ludewig selbst Vorstandsboß der Bahn AG, wollte dafür den Kopf offenbar nicht mehr hinhalten und warf das Handtuch. Nicht nur die Beschäftigten mißtrauen inzwischen dem Bahnvorstand um Ludewig (CDU). Die Gewerkschaften der Eisenbahner fordern „unabhängige Gutachter“ für die Inspektion von Fahrstrecken, Bahnanlagen und Fahrzeugen. Den von der Bahn AG bestellten Inspektoren mangelt es offenbar an Objektivität. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer orakelt schon: „Dieses Unternehmen hat überhaupt keine Perspektiven mehr.“ Der Imageschaden für die Bahn ist (fast) irreparabel geworden.

Lernen von der früheren Krisen der Hoechst AG, als sich ein Störfall an den anderen reihte? Es muß investiert werden: In die Sicherheit, in die „Optik“ der Bahnen und der Bahnhöfe, in den Service – und nicht zuletzt in die Schaffung von Corporate Identity auch noch auf dem letzten Provinzbahnhof. Doch für eine umfassende Reform, die der Komplexität der Problematik gerecht wird, hat Ludewig kein Konzept. Die privatisierte Bahn ist kein ganz normales Unternehmen am „Mobilmarkt“. Sie hat eine gesellschaftliche Aufgabe zu erfüllen. Die Bahn muß aus ökonomischen und ökologischen Gründen mit Flugzeug und Auto konkurrieren können. Wenn das mit Ludewig (CDU) nicht zu realisieren ist, dann eben ohne ihn. Die Bundesregierung muß eingreifen; monetär und personell. Verkehrsminister Müntefering (SPD) übernehmen Sie – endlich. Sorgen sie bitte persönlich wenigstens dafür, daß in Bischofsheim (SPD-regiert) wieder ein Fahrplan aufgehängt wird. Mit Dank im voraus... Klaus-Peter Klingelschmitt