„Meine spontane Reaktion ist Begeisterung“

■ Das Lobby-Mobbing hat sich ausgezahlt: Die Konzerne sind den ungeliebten Finanzminister los und frohlocken hemmungslos. Nächstes Ziel ist die Rücknahme der Steuerreform

„Es ist einer der schönsten Tage meines beruflichen Lebens“, kommentierte gestern Hans Schreiber, der Vorsitzende des Arbeitgeberverbandes der Versicherungen, den Rücktritt Oskar Lafontaines. „Meine spontane Reaktion ist Begeisterung. Lafontaine war ein Arbeitsplatz- und Kapitalvernichter“, sagte der Repräsentant einer der Branchen, die vom neuen Steuergesetz am meisten zu befürchten hatten. All diejenigen Branchen, denen mit dem neuen Gesetz aus dem Finanzministerium Steuerschlupflöcher gestopft wurden, frohlockten gestern – neben den Versicherern vor allem die AKW- Betreiber und die Braunkohletagebaukonzerne. Sie forderten gestern unisono eine Rücknahme der Steuerreform.

Die deutschen Börsen sprangen nach dem Rücktritt des Buhmanns Lafontaine sofort nach oben. Beim Frankfurter Aktienindex Dax machte sich vor allem bemerkbar, daß die Kurse der Strom- und Versicherungskonzerne mehrere Prozent nach oben schossen – diese Aktien hatten gelitten, als sich zeigte, daß die Regierung Ernst macht mit der Neubewertung der Rückstellungen dieser Branchen.

Einen leichten Hang ins Absurde gewann in diesem Zusammenhang die Stellungnahme von Hans-Olaf Henkel, dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie: Der ansonsten unermüdliche Prediger für Reformen in Deutschland und gegen Staatshilfen bekämpfte Lafontaine, als dieser nach 16 Jahren Kohl-Regierung erstmals einige Dutzend Steuerschlupflöcher und damit versteckte Subventionen streichen wollte – weil es nun die Kassen der Industrie auch treffen sollte. Gestern verband Henkel in der Rheinischen Post nun scheinheilig mit dem Abgang des Finanzministers die Hoffnung, daß nun „die reformwilligen Kräfte der Koalition gestärkt werden“.

Wie auch immer die Steuerreform letztlich im Gesetzblatt stehen wird – die Konzerne können sich zu ihrer Taktik beglückwünschen. Geschickt haben sie genutzt, daß sich Schröder immer öffentlich auf die Seite der Wirtschaft gestellt hat. Sie brauchten nur mit der Vernichtung von Arbeitsplätzen winken, und schon hatten sie die Regierung auseinanderdividiert. Spektakulärster Akt in diesem Spiel: In einem „offenen Brief“ von 22 Konzernchefs an den Kanzler und die Boulevardzeitungen hieß es, die Steuerpolitik sei „wenig durchdacht“ und gefährde „den nachhaltigen Abbau von Arbeitslosigkeit“.

Dazu kam, daß es die großen und mächtigen Branchen traf: Neben Strom und Versicherung war auch die Chemie zunächst wenig begeistert vom Gedanken einer Ökosteuer. Und der Verband der Automobilindustrie tobte nach einer Ankündigung von Lafontaine Anfang Februar, die Einschränkung der Überstunden notfalls gesetzlich zu erzwingen. Ein solches Vorhaben sei eine „Kampfansage schlimmster Art“, so der Geschäftsführer des Verbandes der Automobilindustrie, Martin Herzog. Damit hatte Lafontaine die wichtigsten Branchen der Republik gegen sich. So ein Druck ist nur gemeinsam mit dem Kanzler auszuhalten, aber nicht gegen ihn.

Selbst die Verfechter einer eher fortschrittlichen Steuerpolitik fanden gestern kaum lobende Worte für den zurückgetretenen Lafontaine – vor allem wegen der ständigen Änderungen und allerlei Ungereimtheiten in Gesetzentwürfen. Unternehmensgrün, der Unternehmerverband „zur Förderung umweltgerechten Wirtschaftens“, sieht in dem Rücktritt aber „ein schlimmes Zeichen“, so der geschäftsführende Vorstand Rolf Bach. „Damit fällt ein wichtiger Konterpart zu Gerhard Schröder weg. Wir fürchten, daß nun die Politik der letzten Jahre, eine Politik für die Großindustrie, fortgesetzt wird.“ Reiner Metzger