Deutsche bleiben unter sich

Eine Beratungsstelle macht ausländische Au Pairs in Deutschland fit für die Family. Konflikte zwischen Gastgeberfamilie und Au Pairs gibt es reichlich, freundschaftliche Kontakte nach außen sind selten  ■ Von Birgit-Sara Fabianek

Alexandra erklärt mit durchdringender und vor Erregung leicht schriller Stimme, was sie als polnisches Au Pairs in ihrer Gastfamilie in Aachen ertragen muß. Sie sollte Kindersachen bügeln und hat sich damit ein paar Tage Zeit gelassen, weil im Schrank noch genügend saubere Hosen und T-Shirts zu finden waren. Die Famile hat sie daraufhin kritisiert. „Ich verstehe einfach nicht, wieso sich meine Gastmutter so darüber aufregt“, sagt sie aufgewühlt und faßt sich an den Kopf. „Ein bißchen Flexibilität gehört bei der Erledigung von Aufgaben doch wohl dazu.“

Wenn es um die Abrechnung der von ihr geleisteten Arbeitszeit geht, ist Alexandra dagegen weniger flexibel: Sitzt sie mit ihrer Familie gemeinsam beim Essen und schneidet dem kleinen Sohn das Fleisch oder schüttet ihm Milch ins Glas, dann notiert sie sich anschließend zehn Arbeitsminuten dafür. Solche Genauigkeit nervt die Familie, die Stimmung zwischen Au Pairs und Gasteltern ist gereizt.

„Eine typische Konfliktsituation“, meint Andrea de Pomareda, Au-pair-Beraterin bei der katholischen Vermittlungsstelle „In Via“. Typisch findet sie vor allem, daß grundsätzliche Arbeitsabsprachen nicht schon im voraus geklärt werden. Zum Beispiel, ob die Familie akzeptiert, daß die Arbeitszeit nach Minuten abgerechnet wird und ob das Au Pairs damit einverstanden ist, Aufgaben in einer vorgegebenen Zeit und nicht nach eigenem Ermessen zu erledigen. Um die Sache zu bereinigen, bietet sie Alexandra ein gemeinsames Gespräch mit der Familie an. Alexandra lehnt ab und beharrt auf ihrer Sicht der Dinge.

„,Au pair‘ bedeutet übersetzt ,auf Gegenseitigkeit‘“, wendet sich Andrea de Pomareda an die übrigen 17 Teilnehmerinnen und den einzigen männlichen Teilnehmer des Weiterbildungsseminars für ausländische Au Pairs. Das Pilotprojekt ist eine Kooperation der Bischöflichen Akademie Aachen und der Beratungsstelle In Via und will die ausländischen Au Pairs aus der Region in einem Wochenendtraining fit machen für ihren Aufenthalt. Die Aufklärung über Rechte und Pflichten eines Au Pairs gehört dazu. Dreißig Stunden arbeitet ein Au Pairs in der Woche. Zu den Aufgaben gehören in erster Linie eine selbständige und aktive Betreuung der Kinder und Mithilfe bei der täglichen Hausarbeit. Als Gegenleistung erhalten die Au-pair- Mädchen und -Jungen 400 Mark Taschengeld, ein eigenes Zimmer in der Familie, volle Verpflegung, eine Kranken-, Unfall- und Haftpflichtversicherung, Monatskarten für den Nahverkehr und Familienanschluß. Außerdem muß die Gastfamilie den Besuch eines Sprachkurses ermöglichen. Ein Au-pair-Verhältnis ist kein reines Arbeitsverhältnis, sondern zugleich ein Familienverhältnis auf Zeit. Daraus sollen möglichst beide Partner einen Nutzen ziehen.

„Ich fühle mich als Teil der Familie“, versichert Anna-Maria aus Krakau. „Manchmal kochen wir gemeinsam und trinken Wein oder feiern eine Party – und ab und zu putzen wir zusammen, nicht nur ich alleine, das gehört auch dazu.“ In ihrer Freizeit trifft sie sich mit Freunden aus Finnland, Südafrika, Estland, Guatemala, Frankreich und Polen. Anfangs war sie überrascht, wie leicht es in Deutschland ist, Freunde aus aller Welt zu finden. „In Polen hätte ich die nie kennengelernt“, ist sie überzeugt. Deutsche Freunde hat sie allerdings keine. „Deutsche bleiben lieber unter sich“, vermutet sie.

Francisco aus Teneriffa hat ähnliche Erfahrungen gemacht. „Im Café oder auf einer Party bin ich noch nie mit einer deutschen Frau oder einem deutschen Mann ins Gespräch gekommen“, bedauert er. Francisco ist einer der wenigen Jungen, die das Abenteuer „au pair“ wagen. Er hat sich von einem Anbieter über Internet nach Deutschland vermitteln lassen. Der kassierte von Franciscos Gastfamilie eine Gebühr von 800 Mark für den Adressenaustausch und betrachtete die Vermittlung damit als abgeschlossen. Als es Schwierigkeiten mit der Familie gab, wußte Francisco nicht, an wen er sich wenden konnte.

Neben vielen seriösen Vermittlungsagenturen in Deutschland gibt es auch einige unseriöse, die wegen der größeren Anonymität und Unverbindlichkeit vor allem über Internet Au Pairs anwerben. Wer offiziell Au Pairs vermittelt, benötigt dafür eine Erlaubnis der Bundesanstalt für Arbeit, die erteilt wird, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu gehört auch ein Ansprechpartner für Au Pairs und Familien vor Ort. Eine wichtige Sache, findet Andrea de Pomareda, denn viele Au Pairs fühlen sich in Deutschland „unterbetreut und allein gelassen“. So allein wie Francisco, dem bereits nach kurzer Eingewöhnungszeit die gesamte Verantwortung für Haushalt und Kinder der Gastfamilie aufgebürdet wurde. Seine Gasteltern waren ständig unterwegs, manchmal tagelang. „Sie waren immer nur am Arbeiten“, erzählt Francisco. „Ich glaube, selbst an der Decke im Schlafzimmer hatten sie noch Arbeitspläne und Terminkalender hängen.“

Zuwenig Einfühlungsvermögen und zu hohe Ansprüche bescheinigt Andrea de Pomareda den Familien, die ihr Au Pairs mit einer erfahrenen Haushälterin verwechseln und erwarten, daß der Laden binnen Tagen läuft. Angemessener ist es, im Au Pairs ein erwachsenes Familienmitglied zu sehen, das gemeinsam mit den Eltern einen Teil der Familien- und Haushaltsaufgaben übernimmt und dafür entsprechend angeleitet und eingearbeitet werden muß. Dabei kann es helfen, sich an die ersten Tage und Wochen mit dem ersten Kind zu erinnern, schlägt Andrea de Pomareda vor. „Da lief sicherlich auch nicht alles perfekt“, meint sie und fordert im Beratungsgespräch die Gasteltern auf, sich öfter einmal in die Lage ihres Au Pairs zu versetzen. Die Bereitschaft, sich mit der anderen Seite auseinanderzusetzen, erwartet sie umgekehrt auch von den Au Pairs.

Kaija aus Estland beispielsweise neigt dazu, die Rolle des nachgiebigen Au Pairs zu übernehmen und keine eigenen Wünsche zu äußern. Will sie an ihrem freien Samstagabend wie geplant in die Disko, aber die Gasteltern haben spontan ebenfalls Lust auf einen Zug durch die Gemeinde, dann ist sie zwar sauer, aber schweigt und bleibt da. Beim Weiterbildungsseminar führt sie die Szene in einem Rollenspiel vor. Verständnis erntet sie mit ihrem Verhalten nur bei wenigen der zuschauenden Au Pairs. „Mensch Kaija!“, ruft Veronica aus Rumänien, die in der Szene die Rolle der Gastmutter übernommen hat. „Woher soll ich denn wissen, daß du in die Disko willst, wenn du nicht den Mund aufmachst?“

„Kommunikation ist alles“, lautet Andrea de Pomaredas Credo für einen gelungenen Au-pair- Aufenthalt. „Wenn ihr enttäuscht seid oder euch zum Heulen zumute ist, dann sprecht darüber und freßt es nicht in euch hinein.“ Anna-Maria hat damit kein Problem. Wenn ihre Gastmutter schreit, brüllt sie zurück. Aber die meisten Teilnehmerinnen aus Osteuropa sind in dem Punkt zurückhaltender, ihnen fällt es oft schwer, ihre Gefühle zu zeigen und Kritik nicht gleich als völlige Ablehnung ihrer Person mißzuverstehen. So wie Alexandra. Die kann immer noch nicht begreifen, wie ihre Gastmutter es wagen konnte, ihre Bügelpraxis zu kritisieren. „Man muß doch flexibel sein können“, beharrt sie verstockt, und von dieser Meinung rückt sie keinen Zentimeter ab.