Ein mysteriöser Mord in Belgrad

Ein toter Polizist, eine verbotene Zeitung, eine Verleumdungsklage und ein aufmüpfiges Ländchen: eine serbisch-montenegrinische Geschichte  ■   Aus Podgorica Thomas Schmid

In der serbischen Hauptstadt Belgrad wurde in der Nacht zum Freitag der Vizechef der Kriminalpolizei, Oberst Milorad Vlahovic, erschossen. Eine private Abrechnung im Klüngel von Macht und Mafia? Einiges deutet darauf hin. Am vergangenen Montag wurde Slavko Curuvija, der Eigentümer der serbischen Tageszeitung Dnevni Telegraf, wegen Verleumdung zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Das Corpus delicti war ein Artikel, der anfang Dezember nach der Ermordung des Arztes Aleksander Popovic erschien.

Damals hatte der Dnevni Telegraf darauf hingewiesen, daß der Doktor just in jener Belgrader Klinik gearbeitet hatte, deren Direktor der serbische Vizeministerpräsident Milovan Bojic ist. Und nebenbei hatte die Zeitung an ihre eigenen Recherchen erinnert, wonach in jenem Krankenhaus umgerechnet etwa zehn Millionen Mark unterschlagen worden seien.

Wollte Popovic auspacken? Behauptet hat dies die Zeitung nicht, aber der Vizeministerpräsident fühlte sich auf den Schlips getreten und strengte einen Prozeß an. Die Verteidigung verlangte, den nunmehr erschossenen Polizeioberst Vlahovic als Zeuge zu vernehmen, was das Gericht ablehnte.

In Kreisen der Redaktion von Dnevni Telegraf heißt es, daß er die Journalisten auf die Fährte des Unterschlagungsskandals an der Klinik gebracht habe. Pikantes Detail: Milorad Vlahovic war Trauzeuge des im April vergangenen Jahres ebenfalls ermordeten Vizeinnenministers Radovan Stojic. Drei Morde, von denen bisher niemand öffentlich behauptet, sie stünden in einem Zusammenhang, aber es gibt ein serbisches Sprichwort, das lautet: „Tote reden nicht.“

Der Dnevni Telegraf, der die angeblichen Machenschaften an der Klinik des Vizepremierministers im vergangenen Sommer öffentlich gemacht hat, ist seit November in Serbien verboten. Die Zeitung wird jetzt in Montenegro gedruckt, und zwar im Verlagshaus der Pobjeda, einer staatlichen Zeitung, die im wesentlichen die Regierungslinie des kleineren Bundesgenossen in der jugoslawischen Föderation vertritt.

Noch gibt es keine offiziellen innerjugoslawischen Grenzkontrollen zwischen Montenegro und Serbien, aber wer von Podgorica nach Belgrad fährt, wird mindestens ein halbes Dutzend mal angehalten. Übliche Polizeikontrollen, bei denen immer wieder Tausende Exemplare des Dnevni Telegraf in die falschen Hände geraten. Trotzdem verkauft die Zeitung in der serbischen Hauptstadt täglich tausend bis sechstausend Exemplare, illegal, eingelegt in unverdächtigere Zeitungen.

Slavko Curuvija, dessen Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde, ist oft in Montenegro, das ihn vermutlich nicht nach Serbien ausliefern würde, aber er will sich der serbischen Justiz nicht entziehen. Seit einem halben Jahr gibt er neben der Zeitung noch ein Nachrichtenmagazin heraus, den Evroplijanin („Der Europäer“), das in Serbien ebenfalls verboten ist und dort trotzdem eine verkaufte Auflage von 20.000 Exemplaren erzielt. Die Redaktion sitzt in Montenegro, gedruckt wird in Zagreb, die heiße Ware wird dann umständlich aus Kroatien über Bosnien und Montenegro nach Serbien geschleust, um die serbische Grenzkontrolle zu umgehen.

Allerdings könnte es bald auch eine innerjugoslawische Grenzkontrolle geben. Seit heute verlangt Montenegro für die Einreise kein jugoslawisches Visum mehr. Der aufmüpfige Juniorpartner in der Föderation will die ausländischen Touristen endlich wieder ins Land holen. So wird möglicherweise das jugoslawische Visum bald durch ein serbisches ersetzt werden.