Ex-Geheimdienstchef hinter Gittern

■ Spaniens Justiz verdächtigt Sancristóbal, 1984 den Mord der GAL an dem Oppositionellen Santi Brouard organisiert zu haben

Madrid (taz) – Das Geräusch, mit dem am frühen Samstag morgen die Zellentür hinter ihm ins Schloß fiel, war dem ehemaligen Chef der spanischen Staatssicherheit nicht neu. Erst im letzten Juli war Julian Sancristóbal verurteilt worden. Als einer der Rädelsführer der ersten Aktion der „Antiterroristischen Befreiungsgruppen“ (GAL), der Entführung des baskischen Unternehmers Segundo Marey im Dezember 1983, bekam er zehn Jahre Gefängnis. Nach Anrechnung der U-Haft kam Sancristóbal im Dezember auf freien Fuß.

Jetzt steht das ehemalige Mitglied der damaligen Regierungspartei PSOE von Felipe González erneut vor dem Kadi. Das Amtsgericht in Bilbao versucht, Licht in das Dunkel eines der 28 Morde der Todesschwadrone GAL zu bringen. In die Erschießung des linksnationalistischen Führers Santi Brouard. Sancristóbal soll auch dabei seine Hände im Spiel gehabt haben. Um einem Fluchtversuch vorzubeugen, schickte Richter José Luis González Armengol den Staatssicherheitschef und zwei seiner einstigen Untergebenen in Untersuchungshaft.

Der Kinderarzt Santi Brouard war am 20. November 1984 – dem 9. Jahrestag des Todes von Diktator Francisco Franco – in seiner Praxis von zwei Vermummten erschossen worden. Der Vorsitzende der baskischen „Revolutionär-Sozialistischen Partei“ (HASI) war einer der charismatischsten Führer des Wahlbündnisses Herri Batasuna (HB), dem politischen Flügel der Separatistengruppe ETA.

Richter González klagt über die „jahrelange Lähmung der polizeilichen Ermittlungen“. Anstatt der These des Staatsterrorismus nachzugehen, sprach die Polizei schon bald nach dem Mord von „Abrechnungen im ETA-Umfeld“. Der Befehl zur Verschleierung soll direkt aus dem Innenministerium gekommen sein – vermutlich von Sancristóbal und seinem Chef, dem damaligen Innenminister José Barrionuevo.

Erst jetzt, nachdem in Madrid das erste GAL-Verfahren in Sachen Marey mit Verurteilungen von bis zu zehn Jahren Haft – auch gegen Barrionuevo und dessen rechte Hand Staatssekretär Rafael Vera – zu Ende gegangen ist, kommt auch Schwung in die restlichen Ermittlungen.

Sancristóbal soll wie bereits bei der Entführung von Marey den Anschlag gegen Brouard aus dem Reptilienfonds des Inneministeriums finanziert haben. Schriftgutachten der entsprechenden Schecks, im Gesamtwert von nach damaligem Kurs einer halben Million Mark, sollen Sicherheit bringen.

Für die logistische Planung soll einmal mehr der Ex-Polizist José Amedo zuständig gewesen sein. Er wurde bereits Ende der 80er Jahre zu 108 Jahren Haft verurteilt, nachdem er den ganzen Prozeß über seine Hintermänner gedeckt hatte. Als 1994 die Schweigegeldzahlungen aus dem Innenministerium auf Schweizer Nummernkonten ausblieben, diente sich Amedo der Justiz als Kronzeuge an. Das Verfahren im Fall Marey nahm seinen Lauf und endete mit der Verurteilung der gesamten Spitze des Innenministeriums von Sancristóbal bis zum Minister selbst. Regierungschef Felipe González kam nur knapp ungeschoren davon.

Mit der Freiheit, die sich Amedo durch seine Dienste für die Madrider Justiz erwarb, ist es jetzt vorbei. Der Richter in Bilbao schickte auch ihn am Samstag wieder hinter Gitter.

Der dritte im Bund, der Oberst der paramilitärischen Guardia Civil, Rafael Masa González, soll den Söldner Luis Morcillo, der bereits vergangenen Mittwoch inhaftiert wurde, für die Ausführung des Mordes angeheuert haben.

Richter González stellt sich nun die Frage, ob Innenminister Barrionuevo und Staatssekretär Vera über den Mord an Brouard genauso Bescheid wußten wie über die Marey-Entführung. Dann könnten die beiden trotz Begnadigung im Falle Marey bald Sancristóbals Schicksal teilen. Reiner Wandler