Warten auf Ausbruchsversuche und Rücktrittsgründe

■ Herumlungern und kein Oskar: Vor dem Haus von Oskar Lafontaine warteten am Wochenende Journalisten auf eine Erklärung. Aber der Ex-Politiker wollte zunächst nicht: „Ich bin Privatmann“

Der kleine Kerl hockt auf den Schultern des kleinen Mannes und schlenkert seine Entenpantöffelchen. Das ist die Bildausbeute einer kühlen Nacht, eines Tages und noch einer Nacht. Herumlungern und kein Oskar. Und dann am Samstagmorgen dieses Nichtereignis. Tim Kruse von RTL starrt entnervt auf das Gartentor: „Eigentlich hat er gar nichts gesagt.“ Eine halbe Stunde zuvor war Oskar Lafontaine mit seinem Sohn Maurice auf der Terrasse über der roten Backsteingarage erschienen. Maurice will „Leute gucken“, „sein Wunsch ist mir Befehl“. Und: „Guck mal, die Armen!“ Und: „Macht schön eure Fotos!“

Die drei Kamerateams, die vor Ort ausgeharrt hatten, sind ungewohnt folgsam. „Er hat uns gebeten, etwas wegzugehen. Daran halten wir uns halbwegs.“ Und nun sitzen alle wieder auf dem Mäuerchen gegenüber dem Haus und warten. Der Rotenbühl mit seinen eher saarländisch bescheidenen Mehrfamilienhäusern und Kleinstvillen ist eine der beiden besseren Wohngegenden in Saarbrücken. Das unauffällige Haus des ehemaligen Bundesfinanzministers und Ministerpräsidenten liegt etwas zurückgesetzt in der schmalen Straße Am Hügel. Bei Nachbars links wird die Wäsche aufgehängt, rechts das Dachgeschoß renoviert. Die kopfsteingepflasterte Auffahrt ist eine leere Bühne, auf der der Vorhang nicht fällt. Die Statisten kommen aus den Kulissen. Morgens um zehn führt der Stadtteil seine Hunde aus: Golden Retriever von links ins Bild, ein Airedale von vorn, Westhighlandterrier von rechts, Rentnerin von links: „Ich kann Sie nicht beneiden. Schon morgens in der Kälte stehen.“ Und was sagt sie zu Oskar? „Schade!“

10.48 Uhr: In der Birke singt eine Amsel. Der erste Zitronenfalter des Frühlings fliegt ein. Die Ereignisse spitzen sich zu: Amsel jagt Falter. Ein Schrei gellt durch die Straße: „Buutschii!“ Ein fetter Mischlingsköter entkommt knapp einer Stoßstange. Gegenüber staubt und rumpelt der Renovierungsschutt alle paar Minuten krachend zwei Stockwerke tief durch eine rote Plastikröhre. 11.05 Uhr: „Christa kommt!“ Christa Müller winkt und fährt mit ihrem alten, bläulichen Mercedes-Benz davon.

Die Polizisten im Wohnwagen haben Wachablösung. 11.55 Uhr: Christa Müller kommt zurück, trägt eine Tüte und Zeitungen. Sendepause: Zwergschnauzer von links, Gerumpel in der Röhre, Schnauzer erschrickt, Team- Wechsel an den Kameras. Das Haus läßt sich auswendiglernen: Am Küchenfenster stehen leere Flaschen und graublaue Tonkrüge. Mal ist ein weißer Vorhang zu-, mal aufgezogen. Die großflächig verglaste rechte Front „könnte auch mal geputzt werden“. Sagt jedenfalls eine Nachbarin, wienert weiter und rechnet in hausfraulichem Pessimismus auf den nächsten Regen.

12 Uhr: Maurice und Christa Müller an der Rutsche im Garten, kaum zu sehen durch den schmalen Spalt zwischen Busch, Baum und Hausecke. RTL-Mann Tim Kruse träumt von einem Biergarten im Elsässischen, andere erdenken sich Krimis: Ausbruchsversuche, Verfolgungsjagden, Rücktrittsgründe: „Vielleicht wird er erpreßt?“ Die Krähen kommen gut voran beim Bau ihrer Nester in den Alleebäumen der Scheidter Straße. 12.24 Uhr das letzte Medienerereignis des Tages: Das Garagentor geht auf. Oskar trägt eine Kinderkarre. Rennen und Trappeln. Da sitzt die Familie Lafontaine schon im Mercedes, das Kind auf dem Beifahrersitz, Vater hinten und schweigt. Abfahrt zum Familienausflug und keine Verfolgungsjagd. Vier Stunden später Heimkehr, Vater schweigt und guckt böse. An der Einfahrt hängt einsam eine handgemalte Sympathiebekundung: „Ich bin für Oskar, ich bin für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.“ Und was hat er nun eigentlich noch gesagt an diesem Morgen: „Ich bin Privatmann. Öffentliche Leute müssen Interviews geben. Ich nicht!“ Und: „Der Frühling kommt.“ Heide Platen, Saarbrücken