Pferdeblut zum Mittag

Mit dem Gemeinen Vampir hat die Fledermausfamilie in der Zitadelle Spandau attraktiven Zuwachs bekommen  ■ Von Wolfgang Müller

Bald flattern sie wieder aus ihren Winterschlafquartieren: Zwischen Mitte März und April erwachen die Berliner Fledermäuse aus der Winterstarre und erfreuen die Hauptstadtbewohner mit ihren Flugkünsten. „Ja, das Image der Fledermäuse hat sich in den letzten Jahren sehr verbessert“, bestätigt Carsten Kallasch, Erster Vorsitzender des Vereins Vespertilio.

Während es noch vor wenigen Jahren vorgekommen sei, daß Fledermäuse, die sich in ein Wohnzimmer verflogen hatten, von stumpfsinnigen Mietern totgeschlagen wurden, riefen die überraschten Bewohner heute eher bei Vespertilio, dem Verein der Fledermausfreunde, an. Dort bekommen sie fachkundige Auskunft und Hilfe. Immerhin 16 Arten, vom Abendsegler bis zur Zwergfledermaus, wurden in Berlin registriert.

Noch vor kurzem nahm man an, daß in der Spandauer Zitadelle um die 400 Fledermäuse ihren Winterschlaf halten. Kallasch hat herausgefunden, daß es wesentlich mehr sind, nämlich über 10.000. Sie verstecken sich tief in nicht einsehbaren Spalten. „Damit stellt die Zitadelle eines der größten Winterschlafquartiere Europas dar“, so der Entdecker. Insgesamt würden die Populationen mittlerweile eine eher stabile Tendenz aufweisen. Größere Verluste gebe es allerdings bei den Zwergfledermäusen aufgrund der Sanierung im Ostteil der Stadt. In der Fledermausbroschüre der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz findet sich die Abbildung eines Köpenicker Neubaublocks, der, so die Oberzeile, „durch nachlässige Bauausführung Winterquartiere für viele Abendsegler bietet“. Für Abendsegler hatte die DDR also durchaus auch ihre guten Seiten.

Um das größer werdende Interesse an den Fledertieren zu nutzen, hat nun Vespertilio mit der Stiftung Naturschutz und dem Bezirksamt Spandau einen Schauraum in der Zitadelle eingerichtet. „Hier wird Umwelterziehung für Schüler und Kinder ermöglicht“, ergänzt Holger Wonneberg von der Stiftung Naturschutz. Tropische Arten, nämlich Brillenblattnasen und Flughunde, flattern tagsüber unter Rotlicht („die Tiere empfinden das wie Dämmerlicht“) im Schaukäfig herum. Sie stammen von der Universität Bonn, wo sie Forschungsobjekt der Abteilung Verhaltensbiologie sind.

Von ebendort kommt auch der in Südamerika ansässige Gemeine Vampir, die neueste Attraktion in der Zitadelle Spandau. Die kleine Fledermaus, die sich ausschließlich von Säugetierblut ernährt, fand in den riesigen Viehherden Südamerikas eine nahezu unerschöpfliche Blutbank. Da der Gemeine Vampir auch als Tollwuterreger gilt, wurde er entsprechend verfolgt. Vorsichtig pirscht er sich an seinen Wirt, benetzt sorgfältig einen quadratzentimetergroßen Hautbezirk mit seinem gerinnungshemmenden Speichel und beißt erst dann zu. Das herausfließende Blut wird mit der Zunge aufgeschlabbert. Da Blut nicht besonders nahrhaft ist, ist das Fledertier gezwungen, relativ große Mengen aufzunehmen. „Pro Tag ein Schnapsglas Blut muß es schon sein“, versichert Carsten Kallasch, der sich dem kleinen Kobold vorsichtshalber mit dem Handschuh nähert.

Und wie bezieht nun der Gemeine Vampir, den Linné fälschlicherweise unter den asiatischen Flughunden (Vespertilio vampyrus!) wähnte, seine Nahrung in Berlin? „Nun, das Blut muß natürlich frisch und ohne Gerinnungshemmer sein. Eine Schlachterei in Beelitz liefert uns Pferdeblut, welches wir dann einfrieren.“ Die Vampire, die untereinander einen besonders liebevollen sozialen Umgang pflegen, bekommen dann ihre tägliche Dosis in Trinkröhrchen für Kanarienvögel verabreicht.

In europäischen Zoos ist diese Fledermaus nicht zu sehen, die Vampire in der Zitadelle sind insofern die einzigen öffentlich zu betrachtenden Exemplare. Bislang besteht die Gruppe aus vier Männchen, doch schon bald sollen mehrere Weibchen dazukommen. Die Fledermausfreunde würden gern Vampirnachwuchs haben. Für die Besucher gebe es dann schließlich die einzigartige Möglichkeit, die Jungen bei der Umstellung von der Milchsäugung auf das Blutlecken ab dem 4. Monat zu beobachten.

Vampirführungen: jeden Freitag um 18 und 20 Uhr, Samstag um 18, 19, 20 und 21 Uhr