Eine Birne in NYC  ■   Von Joachim Schulz

Zugegeben: Es liegt nicht gerade in der Natur der Birne, für Furore zu sorgen. Denken Sie demgegenüber an den Apfel, der es sogar zu welthistorischer Bedeutung gebracht hat! Ihm ist es zu verdanken, daß wir aus dem Garten Eden achtkantig herausgeflogen sind, und sicherlich würde die Schweiz ohne ihn bis heute nicht existieren. Selbst die Banane läßt sich als revolutionärer Tausendsassa feiern, seitdem ihr die Geschichtsschreibung das Verdienst zuerkannte, den Kalten Krieg beendet zu haben. Die Birne hingegen kann allenfalls auf ihre Rolle als Synonym für den längsten Kanzler aller Zeiten verweisen. Aber da protestieren die anderen Obstkorbbewohner: „Pfft! Metapher sein gilt nicht!“, raunzen sie, und dann zieht die Birne sich traurig in eine dunkle Ecke zurück und wird matschig vor Gram.

Erstaunlicherweise aber kann es auch im Leben einer Birne ganz schön spektakulär zugehen, wenn sie im Reisegepäck einer jungen Dame nach New York City gelangt. Folgen Sie mir also auf den John F. Kennedy Airport! Und treffen Sie dort Friederike, die soeben gelandet ist und dem Ausgang entgegenstrebt. Bevor man indessen irgendwo eintreten darf, trifft man auf einen grimmigen Posten, der einem den Weg versperrt. „Haben Sie etwas anzumelden?!“, knarrt er. „Alkohol? Drogen? Massenvernichtungswaffen?“ Versteht sich, daß er nicht wirklich nach Massenvernichtungswaffen fragt. Doch sein an Conan der Barbar geschultes Zähnefletschen läßt durchaus darauf schließen, daß die amerikanischen Regierungsgewaltigen ihn hier aufgestellt haben, um schmächtige deutsche Touristinnen daran zu hindern, unter der Jeansjacke eine Atombombe ins Land zu schmuggeln.

Friederike hinwiederum ist durchaus nicht bereit, sich von so einem Bulldog einschüchtern zu lassen. „Nein“, erwidert sie deshalb mit ihrem apartesten Lächeln, kramt in ihrem Handgepäck, zieht die Frucht hervor und sagt: „Nur eine Birne.“

Betrüblicherweise aber führt dieser kleine Scherz mitnichten dazu, daß der Posten ein freundliches Bulldoglachen hören läßt. Statt dessen benimmt er sich, als ob es sich bei dem Rohkostsnack um eine Bio-Handgranate handelt, mit der man ganz Neu England entvölkern könne. „Eine Birne!“, keucht er. „Äh... – ja...“, stottert Friederike. „Schnauze!“, unterbricht der Zähnefletscher sie harsch, um sie sodann nach allerfeinster Barbarenart am Arm zu packen und fortzuziehen. Auf diese Weise gelangt sie in einen Raum, in welchem sich – o Schauder! – ein Miniatur-Krematorium befindet. „Mein Gott, der Rüpel wird doch nicht ...!“, flüstert sie voller Grausen. Doch nein: Der Ofen ist viel zu klein für Friederike. Statt dessen zeigt der Posten auf ein Schild, welches die Grenzhüter zur Wachsamkeit gegenüber heimlichen Obstimporten auffordert und vor den Verheerungen warnt, die eine Invasion durch die mediterrane Fruchtfliege zwangsläufig nach sich zöge.

Dann schnappt er sich die Birne und stopft sie in den Ofen, und während er nun einen Schalter umlegt und Friederike dazu anhält, durch ein Fensterchen das sekundenschnelle Verglühen des illegalen Immigranten mitanzusehen, da grinst er so befriedigt, als hätten die USA gerade eben mal wieder einen Krieg gewonnen.