„Alle sollen unzufrieden sein“

■ Spanien ist der größte Nettoempfänger in der EU und will noch nicht auf die Zuschüsse aus dem Kohäsionsfonds verzichten

Madrid (taz) – Agenda 2000? Für Ramon de Miguel, spanischer Staatssekretär für Europäische Beziehungen, ist klar: „Wer denkt, daß wir ein Gleichgewicht bei den Lasten zu Gunsten des größten Nettozahlers, Deutschland, erreichen, in dem wir beim größten Nettoempfänger, Spanien, einsparen, macht es sich zu einfach.“ Und: „Wir können über alles reden, nur nicht über die Fonds für die soziale und wirtschaftliche Kohäsion.“ Die seien Teil des „Paktes“ und damit unantastbar.

Daß Brüssel sparen muß und Bonn nicht weiterhin den Löwenanteil des EU-Haushaltes tragen will, kann auch die spanische Regierung nachvollziehen. Nur wie und wo, da will sie ein Wörtchen mitreden. „Je mehr Themen wir in die Debatte bringen, um so mehr Variablen“, ist die spanische Position. Was de Miguel damit erreichen will? „Daß alle am Schluß gleich unzufrieden sind.“

Auch der spanische Europaverantwortliche sieht ein, daß die 15 Mitgliedsstaaten ihren gemeinsamen Haushalt stabilisieren müssen. Allerdings nicht auf dem Durchschnitt der Jahre 1992 bis 1999, sondern auf dem Stand des letzten Jahres. „Danach müssen wir schauen, wo zu Gunsten von Deutschland umverteilt wird.“ Kompromißbereitschaft signalisieren die Spanier bei der Landwirtschaft. Ohne allerdings den geringsten Zweifel daran aufkommen zulassen, daß sie auch hier harte Verhandlungspartner sein werden, „denn unsere Landwirtschaft ist klimatisch und geographisch bedingt stark benachteiligt“. „Ich verstehe nicht, warum die deutsche Öffentlichkeit immer auf uns schaut“, sagt de Miguel. Sein Land sei mit knapp sechs Milliarden Euro zwar der größte Nettoempfänger – aber nur in absoluten Zahlen. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) sind es Griechenland, Irland und Portugal. Sie erhalten vier Prozent dessen, was sie im Land erwirtschaften, Spanien nur 1,5 Prozent.

Um mehr Beitragsgerechtigkeit zu schaffen, will die Regierung in Madrid lieber die „perversen Strukturen“ angehen: etwa „den britischen Scheck“. Da die Briten kaum Agrarhilfe in Anspruch nehmen, bekommen sie jährlich pauschal fünf Milliarden Euro aus ihren Beiträgen rückvergütet. Ebenso unverständlich sei, daß Länder wie Dänemark oder Luxemburg zu den Nettoempfängern gehören oder Paris und Rom im Vergleich zu Bonn viel geringere Beiträge zahlen. Die Zukunft liegt für de Miguel in der Osterweiterung. „Wir waren von Anfang an dafür“, gibt er sich als treuer Verbündeter Bonns. Spanien sei ein Beispiel dafür, wie gute europäische Politik funktionieren könne. Der Boom der letzten Jahre belege den Erfolg der Struktur- und Kohäsionsfonds: Spanien erreicht heute eine Wachstumsrate von über drei Prozent, während im Norden mit der Ein-Prozent- Hürde gekämpft wird. Und jeder zweite Arbeitsplatz, der in der EU geschaffen wird, entsteht in Spanien. Im Osten gelte es eines Tages eine ähnliche Entwicklung einzuleiten. „Wir können nicht mehr Europa mit weniger Geld machen“, lautet die spanische Position, wie der Präsident des EU- Parlaments, der Spanier José Maria Gil Robles, bereits vor dem Gipfel in Wien erklärt hat.

„Unser Beitritt zur Währungsunion zeigt: Wir sind auf dem richtigen Weg“, sagt de Miguel. Doch das sei kein Grund, die Zuschüsse zu streichen. Spanien liegt bei 77,5 Prozent des durchschnittlichen Pro-Kopf-BIP in Europa. Nur Mallorca kommt auf 100 Prozent, selbst Madrid erreicht nur 98, das Wirtschaftszentrum Barcelona 97. Die Schlußlichter im Süden liegen kaum über 50 Prozent. „Solange das so ist, haben wir ein Recht auf die Fonds.“ Ohnehin komme das Geld letztlich den Unternehmen der Exportnationen im Norden zugute. „Oder wurde der Hochgeschwindigkeitszug Madrid–Sevilla von spanischen Firmen gebaut?“ Reiner Wandler