Kommentar
: Das Ende der Parteisoldaten

■ In Lafontaines Abgang spiegelt sich postmoderne Ethik

Oskar Lafontaine auf der Bühne seines Einfamilienhauses mit dem Söhnchen auf der Schulter. Kunsthistoriker haben für solche Posen einen Begriff bereit: Pathosformel. Demonstriert werden soll der Abwurf der politischen Last und der Neuanfang (im Kreis der Lieben). Die Botschaft kam rüber – und führte zu massivem Mißvergnügen, nicht zuletzt bei den Parteiarbeitern der SPD.

Einfach abhauen? Ein Sozialdemokrat stirbt in den Stiefeln als Parteisoldat. So geschehen von August Bebel über Kurt Schumacher bis zu Willy Brandt. Letzterer harrte aus, obwohl er viel bösartiger von Onkel Herbert gekränkt worden war als jetzt Oskar von Gerhard. Willy, der den Annehmlichkeiten des Lebens nie abgeneigt gewesen war, hielt dennoch als Vorsitzender den Laden zusammen, bis er ins große Ganze, die Sozialistische Internationale, und anschließend in den Sozialistenhimmel hinüberwechselte.

Den einzigen Schandfleck, ein Dressman aus dem Norden, der sich an die Parteispitze der SPD verirrt hatte, übergehen wir mit Stillschweigen. Das Ethos „ein Leben für die Arbeiterbewegung“ überlebte deren Spaltung und weste selbst nach ihrem Ende fort. Auch in der DDR, wo Erich nicht von der Kärrnerarbeit lassen wollte. Wo man hinsieht, protestantisch- proletarische Pflichterfüllung.

Auch Hans-Jochen Vogel, selbst lebenslanger Parteiarbeiter, ist gekränkt. Er fordert von Lafontaine „konkrete Rechenschaft vor den Öffentlichkeit und den Wählern“ ein. Aber ist dieser Tadel nicht ebenso atavistisch wie die Kopfnote „Betragen mangelhaft“ im Zeugnis der Grundschüler? Hat Oskar nicht das Recht, seine narzißtische Kränkung vor aller Welt zu demonstrieren? Warum ausgerechnet in seinem Fall der Zwang zu rationalem, kommunikativem Handeln? Von wegen Verantwortung! Wo gibt's das noch in der Gesellschaft, durchgehaltene Identität im Lebenszyklus? Sind wir nicht umgeben von lauter Abbrüchen und Neuanfängen, sei's in Job, Ehe oder Weltanschauung? Und lehrt die postmoderne Ethik nicht, daß der Clou der Lebensführung gerade in ihren schroffen Brüchen liegt? Daraus aber folgt: Vorsicht bei Oskar! Er könnte es sich auch wieder anders überlegen. Denn in Saarbrücken und Umgebung weiß man zwar zu leben. Aber der süße Geschmack der Macht, er ist nur in Berlin zu haben (oder in Brüssel). Christian Semler