Kulturschock: Iran macht Staatsfeinde zu Preisträgern

■ Die Regierung des reformorientierten Präsidenten Chatami zeichnet erstmals zwanzig Schriftsteller aus. Bisher wurden sie zumeist vom Geheimdienst gejagt. Der in den Untergrund gedrängte Schriftstellerverband hat sich offiziell neu gegründet

Teheran (taz) – Erstmals in der 20jährigen Geschichte der Islamischen Republik hat eine iranische Regierung kritische Literaten ausgezeichnet. Am vergangenen Donnerstag verlieh der Minister für Kultur und islamische Führung, Ataollah Mohadscherani, in einem Teheraner Theater Preise an 20 AutorInnen.

Die Auszeichnung markiert einen Kurswechsel in der Kulturpolitik unter der Regentschaft von Präsident Mohammad Chatami. Früheren Regierungen galten Literaten und Intellektuelle per se als Staatsfeinde und damit vogelfrei. Geheimdienstler leiteten daraus den Auftrag ab, auf die Querdenker Jagd zu machen. Ende letzten Jahres starben innerhalb von drei Wochen fünf Dissidenten einen gewaltsamen Tod. Inzwischen wurden mehrere Tatverdächtige festgenommen – allesamt Mitarbeiter des Geheimdienstes.

„Eine neue Ära der iranischen Literatur hat begonnen“ titelte am Wochenende die reformorientierte Zeitschrift San (Frau), angesichts der Preisverleihung. Die Auszeichnung bilde „einen Wendepunkt“, erklärt Irans zur Zeit bekanntester Schriftsteller Huschang Golschiri. Endlich beachte Irans Führung jene, „denen sie 20 Jahre lang nicht zugehört hat“.

Andere Literaten sehen die Angelegenheit allerdings verhaltener. „Natürlich ist es ein positiver Schritt“, meint die Übersetzerin Roschanak Dariusch, weist jedoch darauf hin, daß unter den Ausgezeichneten mit Ausnahme von Mahmud Dolatabadi kein Mitglied des Kerns des Iranischen Schriftstellerverbandes sei. Anscheinend hatte Mohadscherani bewußt politisch unbelastete Autoren ausgesucht. Dolatabadi stiftete den mit umgerechnet 8.000 Mark dotierten Preis den Familien seiner ermordeten Kollegen Mohammad Mohtari und Mohammad Pujandeh.

Auch für die Aktivisten der iranischen Schriftstellerszene mehren sich die positiven Zeichen. Eine Woche vor der Preisverleihung konnten sich 70 Literaten zur Konstituierung ihres Verbandes in einer Privatwohnung versammeln. Minister Mohadscherani wollte den Schriftstellern zwar keine öffentlichen Räumlichkeiten zur Verfügung stellen, erteilte jedoch schriftlich die Genehmigung zu der Zusammenkunft. Den Geheimdienst hinderte das nicht, einen Trupp Agenten vor der Wohnung abzustellen. Die Schriftsteller nahmen es mit Humor und erklärten, die Versammlung habe unter „Polizeischutz“ stattgefunden. Thomas Dreger

Tagesthema Seite 3