„Ich denke noch“

■ Christoph Schlingensief bringt die „Berliner Republik“ auf die Bühne. Ein Gespräch über die Rückkehr zum Theater, Wagner in Namibia, Wurzeln, Wüstengewimmel und Schröder-Schäden

taz : In den vergangenen Jahren haben Sie permanent den Kontext Theater gesprengt. Jetzt kehren Sie mit der „Berliner Republik“ in die Institution Theater zurück. Ist das ein Rückschritt?

Christoph Schlingensief: Das würde ich nicht sagen, denn es geht nicht nur um ein Theaterprojekt. „Die Berliner Republik“ gehört in einen größeren Zusammenhang, der sich bis zu Richard Wagner nach Namibia und einem umgebauten „Hotel Prora“ in New York erstrecken soll. Deshalb habe ich jetzt die Ruhe zu sagen: Ich überprüfe noch mal die Bühnensituation. Vielleicht entsteht daraus ein emotionaler Prozeß des Denkens.

Müssen Sie nicht einfach Ihren Volksbühnenvertrag erfüllen?

Nein, das kann's nicht sein. Ich will diesen Abend nutzen, um zu zeigen: Wir befinden uns hier auf der Suche nach den Wurzeln in der Erde, wo man ab und zu noch ein paar Nährstoffe findet. Die Oberfläche interessiert erst mal wenig, das kennen wir, abgehakt. Ich könnte jetzt auch irgendwo im Fernsehen rumtoben. Wenn ich auf dem Level des Schlingensief- Traras – der Provokateur, das Enfant terrible usw. – weitermachen würde, wäre ich nicht nach Afrika gefahren. Ich habe mir Zeit zum Denken geleistet, ohne daß es dabei um sentimentales Weinen oder den Ausstieg nach Gomera gegangen wäre.

War Afrika nicht verbunden mit der politischen Mission des Chance-Staates?

Am Anfang schon. Als der Chance-Staat losging – Staat ohne Territorium –, hatten wir die Absicht, runter nach Afrika zu fahren, um Leute zu finden, die diesen Staat anerkennen. Zwei Zollstempel haben wir tatsächlich bekommen. Aber darum ging es letztlich nicht, sondern um die Planung einer Wagner-Expedition zur Jahrtausendwende nach Namibia, der ehemals deutschen Kolonie Süd- West. Richard Wagner starb 1893, als die Deutschen unter einem General von Trotta begannen, 60.000 Hereros abzuschlachten. Als neue Regierung müßte man eigentlich vorschlagen, Deutschland für ein halbes Jahr nach Namibia zu verlegen. Das gäbe einen riesigen Innovationsschub.

Wieso?

Wenn man sich Schröder anguckt oder die Globalisierung, dann haben wir doch das Emotionslose vor uns. Die bloße Oberfläche, die alles – siehe Holocaust-Denkmal – in Beton gießt und dann dazu noch eine Million Bücher aufstellt. Und irgendwann hat jeder eine Steckdose am Kopf und ist im Internet. Wir alle haben Zivilisationsschäden. Deren Abarbeitung ist das Spannungsfeld des 21. Jahrhunderts. Denn die Globalisierung läuft in Parallele zu Wagners „Ring“. Wagner wollte den Ring dem Rhein zurückgeben, wodurch der Kapitalismus abgeschafft wäre. Und diesmal wird der Ring eben in den Sand gesetzt. Globalisierungsprozeß heißt für mich „Wüste machen“: tot an der Oberfläche, aber unten drunter ein wahnsinnig lebendiges Gewimmel. Deshalb wird das Wagner-Projekt eine Risikoreise. 50 Jeeps mit Wagners Musik auf dem Dach werden sieben Tage durch die Wüste rasen.

Und dazu brauchen Sie Afrika?

Ja, denn in Namibia gibt es mit den abgeschlachteten Hereros diese Parallele zum Holocaust. Die Hereros treffen sich jeden Monat, ziehen Wehrmachtsuniformen an und rufen die Namen jener Generäle, die ihre Vorfahren ermordet haben. Das ist so, als würde sich Bubis mit jüdischen Freunden treffen, SS-Uniformen anziehen und dann am Potsdamer Platz die Namen der KZ-Schlächter brüllen. Eine solche Abarbeitung kann natürlich keiner zulassen, der ein Monopol des Denkens für sich in Anspruch nimmt – wie das Feuilleton, Walser oder Bubis.

Was fasziniert Sie so sehr an Gerhard Schröder?

Er ist einer, dem ich nicht traue, weil ich mir selber auch nicht traue. Abends sitzt er vor dem Fernseher, amüsiert sich und hat dabei dieses trojanische Endzeitlächeln auf den Lippen, wie Bazon Brock das nennt. Das heißt, er ist latent dabei, den fünften Ring zu basteln. Doris Köpf ist auch schon Hillu, der fünfte Ring muß her, und dann ist die Olympiade eröffnet. Der Schröder hat für mich ganz viele Elemente, die uns alle angehen.

Stimmt es Sie milder, daß mittlerweile ehemalige 68er regieren?

Ich hatte nie etwas gegen die 68er, solange sie 68 nicht als Monopol verstanden. Und das Gefühl hab' ich jetzt gar nicht. Ich bin mir sicher, daß Joschka Fischer genau weiß, als welche Karikatur er heute auftritt – ohne lange Haare und Turnschuhe. Man hat wirklich das Gefühl, da sind ganze Passionsgeschichten und irrsinnige Obsessionen angelegt. Dieser Punkt, jetzt anders auszuschauen und damit umzugehen, ist absolut modern. Beim rasierten Thierse, der jetzt auch noch den Reichstag umbenennen will, wird's mir dann allerdings zuviel.

Statt dessen wollen Sie die obsessive Auseinandersetzung mit verdrängter Geschichte?

Genau. Hereromäßig. Bubis mit den Holocaust-Models. Das ist eine absolut emotionale Situation, mit der man nicht nur was vorführt. Mir schwebt ein Bühnenerlebnis vor, das Schauspieler, Zuschauer und Politiker in ein Spannungsfeld bringt und sie spüren läßt: Ich denke noch. Da sind zwar bloß Verfallsprodukte unterwegs, aber die bauen auch Neues. Nun wird ja nicht Gerhard Schröder auf der Bühne stehen, sondern Bernhard Schütz, der so tut, als ob er Gerhard Schröder ist.

Geht da nicht der rituelle Reinigungseffekt flöten?

Die Realität findet auf der Bühne statt. Mit Chance 2000 habe ich ja die Realität im Leben gesucht und dort die größere Inszenierung gefunden. Außerdem ist Schütz ein sensationeller Schauspieler, der in seiner Art nicht beansprucht, Imitat oder Karikatur zu werden. Aber genausowenig wie Bernhard Schütz Gerhard Schröder ist, wird „Die Berliner Republik“ eine Boulevardkomödie. Es ist die Überhöhung davon. Ein Abarbeiten von Gerhard- Schröder-Schäden in der Jetztzeit. Interview: Eva Behrendt