Auf welcher Seite steht Fadil Sulevic?

Im Kosovo wurde ein Polizist wegen UÇK-Mitgliedschaft verurteilt – in Abwesenheit, weil ihn die UÇK entführte    ■ Von Thomas Schmid

Bis zum Tag seiner Entführung im vergangenen August arbeitete der Albaner Fadil Sulevic als Polizeiinspektor in Pritina, der Hauptstadt des Kosovo, bezahlt vom serbischen Innenministerium. Die UÇK, die Guerilla der Kosovo-Albaner, habe den Mann öfter gewarnt, bezeugte Hamdi Hyseni diese Woche vor Gericht, wo er zusammen mit sieben weiteren Angeklagten der Bildung einer „terroristischen Gruppe, der Durchführung terroristischer Aktionen und der Planung von Kidnapping und Liquidierung einiger Personen“ bezichtigt wurde. Schließlich habe die UÇK den Polizeiinspektor als Kollaborateur festgenommen. Doch das Gericht glaubte Hyseni nicht und verurteilte den entführten mitangeklagten Polizeiinspektor in Abwesenheit zu sieben Jahren Gefängnis.

Es ist noch nicht lange her, da glaubte man Hysenis Aussagen noch. Er hatte sich während der Ermittlungen selbst bezichtigt, sich der UÇK angeschlossen zu haben, weil ihm vorgeworfen worden sei, mit den Serben zu kollaborieren. In der Hauptverhandlung nahm Hyseni diese Selbstbeschuldigung zurück und sagte, sie sei ihm, wie auch die Anschuldigungen gegen die Mitangeklagten, unter Folter abgepreßt worden.

Daß albanische Häftlinge während der Ermittlungen oft physischen und psychischen Mißhandlungen ausgesetzt sind, steht fest. Wahrscheinlich ist es sogar die Regel. Hyseni selbst schilderte die Mißhandlungen in der Hauptverhandlung im Detail: Er sei immer wieder geprügelt worden und habe sich nachts nicht hinlegen können, weil man ihn an einen Stuhl gefesselt habe. Und all dies passierte in Geheimhaft.

Auch Hyseni war nämlich eines Tages gekidnappt worden – allerdings von der anderen Seite. Am 26. August, so berichtet sein Anwalt Aqif Tuhina, habe ihn ein befreundeter Polizist angerufen, um ihm mitzuteilen, er möge in ein bestimmtes Lokal kommen, wo er das Geld, das ihm der Anrufer schuldete, zurückerhalten werde. Hyseni sei am verabredeten Ort erschienen. Dort warteten vier weitere Männer auf ihn, legten ihm Handschellen an und entführten ihn durch die Hintertür, zerrten ihn in ein Auto und verschwanden. 46 Tage lang sei sein Klient gegen alle Gesetze auf der Polizeistation in Pritina festgehalten worden, ohne daß ein Richter, ein Anwalt oder ein Familienmitglied etwas wußte. Am 10. Oktober wurde er schließlich ins Gefängnis überwiesen, nachdem er unterschrieben hatte, er sei am Vortag festgenommen worden.

In der Hauptverhandlung sagte Hyseni aus, er habe unter Folter alles unterschrieben, was man von ihm verlangte. Die Forderung der Verteidigung, Polizisten in den Zeugenstand zu rufen, lehnte die berüchtigte Oberstaatsanwältin Danica Marinkovic, die in der Regel bei politischen Fällen eingeschaltet wird, rundweg ab, ebenso eine ärztliche Untersuchung des Angeklagten, die über Mißhandlungen hätten Aufschluß geben können.

Schon während der Untersuchungshaft waren die Rechte der Verteidigung rechtswidrig beschnitten. Unbeaufsichtigte Gespräche zwischen Anwalt und Klient waren nicht zugelassen, und die Ermittlungsakten konnte Tuhina erst im allerletzten Moment noch schnell einsehen. Die Verurteilung Hysenis zu fünf Jahren Gefängnis beruht ausschließlich auf der Selbstbezichtigung, materielle Beweise wurden keine vorgelegt.

Auch die Verurteilung Sulevic zu sieben Jahren Gefängnis beruht ausschließlich auf den Aussagen, mit denen Hyseni den Abwesenden belastete. „Wir wissen nicht, ob Sulevic noch lebt“, sagt Ymer Osai, Verteidiger des Polizeiinspektors. Sicher sei nur, daß er im August von der UÇK festgenommen wurde und 28 Tage später immer noch in deren Händen war. Als Beweis hierfür führt der Anwalt Aussagen des beim selben Prozeß angeklagten und freigesprochenen Baskim Mshica an.

Der bezeugte, er habe sich ins UÇK-Gebiet aufgemacht, um dort seinen von der Guerilla gekidnappten Vater, Islam Mshica, zu besuchen, was ihm selber eine Anklage wegen Beitritts zur UÇK einbrachte. Er habe nicht nur seinen Vater gesehen, sondern auch den entführten Sulevic, berichtete er vor Gericht. Islam Mshica wurde übrigens im selben Prozeß in Abwesenheit zu sieben Jahren Haft verurteilt. Könnte es sein, daß der albanische Polizeiinspektor Sulevic für die UÇK arbeitete und von dieser, bevor die Sache aufflog, rechtzeitig „entführt“ wurde? Osai schließt dies aufgrund der Aussagen von Baskim Mshica aus, der im übrigen – wie der Anwalt meint – schon seit längerem gute Beziehungen zur Polizei unterhalten habe. Nein, das seien wilde Spekulationen.

Allerdings wuchern solche Mutmaßungen um so besser, je weniger die Justiz im Kosovo zur Wahrheitsfindung beiträgt. „Eine Gewaltenteilung gibt es hier nicht“, stellt Osai fest, „die Richter stehen im Dienst der Macht.“ Von über 60 Richtern sind gerade noch drei Albaner, die bei politischen Prozessen ohnehin nie zum Zuge kommen, die übrigen sind Serben. Sowohl Tuhina wie Osai wollen in die Revision gehen. Doch beide geben sich keine Chancen. Tuhina war übrigens früher Richter, bis er im Zuge der Aufhebung der Autonomie des Kosovo als Albaner entlassen wurde. Auch Osai war Richter. Doch hat er das Amt schon 1985 abgegeben. Zu kommunistischen Zeiten war es schwierig, Recht zu sprechen, meint er. „Doch ist die heutige Justiz noch viel weiter von Gerechtigkeit entfernt als die damalige.“

Daß albanische Häftlinge während der Ermittlungen oft physisch und psychisch mißhandelt werden , steht fest