Nordirlands Friedensprozeß auf der Kippe

Protestantische Terrorgruppe bekennt sich zur Ermordung der prominenten Anwältin Rosemary Nelson. Katholiken verdächtigen auch Nordirlands Polizei. Die gibt nun die Ermittlungen nach England ab    ■ Von Dominic Johnson

Berlin (taz) – Nordirlands kriselnder Friedensprozeß steht nach der Ermordung einer prominenten Rechtsanwältin vor einer neuen Belastung. Die protestantische Terrorgruppe Red Hand Defenders, die den Friedensprozeß ablehnt, hat sich zu der Autobombe bekannt, die am Montag in der Ortschaft Lurgan im BMW von Rosemary Nelson explodierte und sie zerfetzte. In der Nacht zu gestern brachen in Lurgan schwere Unruhen aus. Katholische Jugendliche bewarfen Soldaten und Polizei mit Brandsätzen.

Gestern wurde spekuliert, daß der Mord mehr als das Werk einer Splittergruppe sein könnte. Rosemary Nelson hatte sich einen Namen als Vertreterin der katholischen Anwohner der umstrittenen Garvaghy Road in Portadown, des heikelsten Brennpunkts in Nordirland, gemacht. Katholische Kreise weisen darauf hin, daß Nelson wegen ihres Engagements als Anwältin angeklagter Katholiken auch von der protestantisch dominierten nordirischen Polizei RUC zur Zielscheibe auserkoren worden war. Es sei „öffentlich bekannt, daß ihr Leben mehrmals bedroht worden ist“, sagte Sinn Féins Verhandlungsführer Martin McGuinness. Im vergangenen Jahr hatte Nelson solche Verdächtigungen selber gegenüber UN-Untersuchern ausgesprochen.

So herrscht jetzt der Verdacht, Nelsons Ermordung könnte das Produkt einer Zusammenarbeit zwischen radikalen Protestanten in paramilitärischen Gruppen und radikalen Protestanten in der RUC sein. Bisherige Anschläge der Red Hand Defenders, einer im Februar verbotenen protestantischen Splittergruppe, wurden mit einfacheren Methoden ausgetragen als mit Autobomben, die als Mittel der gezielten Tötung von Personen in Nordirland eher selten sind. Anwohner in Lurgan sagten, daß die Gegend, wo Nelsons Auto stand – es war über das Wochenende geparkt geblieben, während die Anwältin verreist war – ,in der letzten Zeit von Sicherheitskräften überlaufen gewesen sei.

Die Demonstrationen gegen den Anschlag richteten sich denn auch vor allem gegen die RUC. Protestler brachten am Zaun der Polizeistation von Lurgan schwarze Fahnen und Transparente mit der Parole „Löst die RUC auf“ an. Auf Graffiti war zu lesen: „Rosemary Nelson, Stimme des Volkes, von RUC ermordet“.

Um den Schaden zu begrenzen, beschloß die RUC gestern, die Ermittlungen in dem Mordfall nicht selber zu führen. Sie werden statt dessen von David Phillips geleitet, Polizeichef von Kent im Südosten Englands. Er wird mit Spezialisten der US-Polizei FBI arbeiten.

Der Zeitpunkt des Anschlags war nach allgemeiner Einschätzung gezielt gewählt, um einen maximalen Vertrauensverlust in Nordirland zu produzieren und dadurch eine politische Krise herbeizuführen. Heute ist der irische Nationalfeiertag, und die wichtigsten Politiker Nordirlands halten sich in den USA auf, um zu überlegen, wie das Karfreitagsabkommen von 1998 bis zum nächsten Karfreitag in etwas über zwei Wochen doch noch umgesetzt werden kann. Alle Politiker waren sich gestern in der Verurteilung des Mordes einig. In einer gemeinsamen Erklärung nannten Abgeordnete von Labour und den Konservativen den Anschlag „faschistisch“ und forderten, die Täter müßten „mit aller Härte gejagt werden“.