Steuern runter, Grüne rauf

Niedrige Steuern, mehr Billigjobs, weniger Staat – grüne Realpolitiker fordern eine strategische Neuorientierung  ■ Von Christian Füller

Berlin (taz) – Nach dem Abgang Oskar Lafontaines versucht der kleine Regierungspartner offenbar, die zweite Chance der rot-grünen Regierung zu nutzen. In einem programmatischen Papier zur Finanzpolitik ist eine „Initiative für Investitionen, Arbeit und Umwelt“ für die bevorstehenden Steuerreformen skizziert. Das Papier, das maßgeblich von dem Realo Fritz Kuhn erarbeitet wurde, hat die grüne Bundestagsfraktion gestern zur Kenntnis genommen.

Das Papier, das der taz vorliegt, formuliert ein zusammenhängendes Leitbild der Wirtschafts-, Steuer- und Umweltpolitik der Schröder-Regierung. Es ist weder konkret noch besonders radikal. Der Sozialstaat ist durch Reformen nicht umzubauen, sondern zu sichern – so lautet das Credo des „Kuhn-Papiers“.

Der umtriebige Fraktionschef der Grünen in Baden-Württemberg, Fritz Kuhn, war unmittelbar nach Lafontaines Rücktritt Ende voriger Woche extra nach Bonn eingeflogen, um den Grünen neue Impulse zu verleihen. Das war ganz im Sinne seines Ziehvaters und Freundes Joschka Fischer. Kuhn, von einigen schon als künftiger Parteichef gehandelt, hat das Papier zusammen mit den heimlichen Stars der grünen Fraktion geschrieben: den parteiübergreifend respektierten Finanzexperten Christine Scheel und Oswald Metzger, dem Bildungspolitiker Matthias Berninger, der parlamentarischen Geschäftsführerin Kristin Heyne sowie dem Öko-Experten Reinhard Loske.

Die Regierung sei gewählt, um die Arbeitslosigkeit abzubauen, heißt es in dem Papier. Dazu schlagen die grünen Reformer als wesentliches Element vor, die Investitionsbedingungen in Deutschland zu verbessern. Gelingen soll dies durch „eine weitere Senkung des Spitzensteuersatzes“, durch Einrichten eines Niedriglohnsektors sowie durch „noch klarere ökologische Lenkungssignale“. Dieser Ökofaktor nimmt die Kritik an der Ökosteuer auf, die der Bundesrat am Freitag beschließen wird: Die Lohnnebenkosten sollen stärker entlastet werden, „indem die Steuer auf Strom niedriger, die auf Kraftstoffe aber höher ausfällt“. Insgesamt sollen die Sozialabgaben, die unter der Regierung Kohl stetig gestiegen waren, um 2,4 Prozentpunkte abgesenkt werden.

Diese Absenkung reicht nach den Vorstellungen der Autoren aus, den Sozialstaat zu bewahren – weil er „auf der Leistungsseite von Grund auf reformiert wird“. Dazu zählen die Gesundheitsreform und die „Rentensicherung der Zukunft“.

Ein Schwerpunkt des Papiers liegt auf der Steuer- und Finanzpolitik. Haushaltssprecher Metzger formuliert deutlicher als sonst den Anspruch, die Staatsverschuldung abzubauen. „Dazu gehört auch die Entbürokratisierung auf seiten des Staates“, steht unter der Überschrift „Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen“. Vor allem kleine und mittlere Betriebe sollen von einfacheren Genehmigungsverfahren profitieren.

Metzgers steuerpolitische Kollegin Scheel steht dafür, die Unternehmenssteuern bis auf 35 Prozent zu senken. In einem Interview nannte die Vorsitzende des Finanzausschusses gar einen Steuersatz von 23 Prozent (ohne Gewerbeertragssteuer) – und bekam prompt Schelte vom SPD-Finanzexperten Joachim Poß. Es gebe, sagte er, „keinen Spielraum für staatliche Wohltaten“.