Nippen am Miststück

■ Mit Orgasmen und marmeladenverschmierten Betten wirbt Bremen in seinem „Gästeführer“ um Touristen. Ein virtuelles Praxiswochenende

Sie sitzen im „Hofmeister“ und rutschen unruhig hin und her. Irgendwas stimmt nicht mit Ihnen. Sie merken: Was Ihnen jetzt fehlt, ist ein richtig toller Orgasmus. Brillante Idee, denken Sie, rufen freudig erregt den Kellner herbei und sagen: „Kellner, besorgen Sie mir einen richtig tollen Orgasmus.“ „Aber gerne doch“, antwortet der Kellner. Und macht sich sofort an die Arbeit.

Sie glauben, sowas passiert im richtigen Leben nie. Da glauben Sie aber falsch. Im „Hofmeister“, jener Auf den Häfen gelegenen „gelungenen Mischung aus Restaurant und Bar“, lesen Ihnen die Kellner auch den gewagtesten Wunsch prompt von den Lippen ab, selbst wenn Sie ihm „Miststück“ an den Kopf werfen oder um „Sex on the Beach“ flehen. Aber nicht nur die Namen der alkoholischen Mixgetränke laden unbedingt dazu ein, im „Hofmeister“ den Abend zu verbringen. Wem der Sinn nicht nach „Orgasmus“ steht und zudem keinen „Sex on the Beach“ haben will, kann sich in diesem Etablissement „von feröstlichen Leckereien verwöhnen lassen“. Jene, denen jedoch „feröstliche Leckereien“ fürchterlich auf den Magen schlagen, dürfen ungehemmt aus ihrem „Ledersessel im Art-Deco-Stil“ direkt an die gegenüberliegende Wand kotzen. Das macht hier jeder so. Weshalb das Schlemmerrestaurant „Hofmeister“ sich zurecht seiner „geschlemmten Wände“ rühmt.

Das „Hofmeister“ – ein High-light, ein Aushängeschild, ja geradezu eine vor die Säue geworfene Perle der Bremer Gastronomielandschaft. Nur zu gut versteht man da die Bremer Touristik Zentrale, daß sie die oben zitierte Werbung für das „Hofmeister“ auf jenes Faltblatt druckt, das sich „Gästeführer Bremen“ nennt und dem Besucher dabei behilflich sein soll, seinen Aufenthalt in der Stadt am (zugeschütteten) Fluß zu einem unvergeßlichen Erlebnis werden zu lassen. Wohlan: Planen wir ein unvergeßliches Wochenende anhand der Empfehlungen des Gästeführers!

Es ist spät geworden im „Hofmeister“. Mit den Orgasmen haben Sie etwas übertrieben. Schlaftrunken nippen Sie ein letztes Mal am „Miststück", wanken ins Taxi und wachen am nächsten Morgen mit dem Gesicht in einem Topf Erdbeerkonfitüre auf. „Ach ja“, fällt es Ihnen ein, während Sie sich die Eierschalen aus den verschlafenen Augen reiben und sich die Haferflocken aus den Ohren puhlen, „ich bin ja im Alten Torfkahn!“ Und in diesem Hotel vor den Toren Bremens schläft man nie allein im Bett. Ganz wie der hauseigene Werbe-slogan verspricht: „Übernachten Sie bei uns mit einem Frühstücksbuffet.“

Nach dem Duschen schlendern Sie durch die Passage Bürgerweide und kaufen ebendort im Geschäft von Heidi Lachs – na, was wohl? – genau, Fisch. Das macht Lust auf mehr. Und ehe Sie sich versehen, sind Sie wieder „Auf den Höfen“, lassen das „Hofmeister“ aber diesmal links liegen und gehen ins Spezialitätenrestaurant „Malaysia“. Denn in dem im malayischen Kolonialstil gehaltenen Ambiente – links der Houseboy, rechts die Peitsche – soll insbesondere die „Seafood Wan Tan“ doch „tatsächlich nach Meer schmecken“.

Postwendend stürzen Sie in die nahe gelegene American Bar „Sanibel“, um den höllischen Salzwassergeschmack zu vertreiben. Doch dort finden Sie nur „volle Vielfalt innerhalb der US-Geschmacksgrenzen“, was unweigerlich zu Grenzkonflikten mit Ihrem bereits am Vorabend feröstlich malträtierten Magen führt.

Schlußendlich landen Sie dort, wo die Tour de Bremen Ihren Ausgang genommen hat: in der Bar. Sie outen sich als wahre Bremensie und bestellen vollmundig „eine Lokalrunde Orgasmus für alle“. Im „Muschel-Palast“, „Bremens First-Class-Bar mit internationalen Damen von Bangkok bis Jamaika, Massagen, Muschelbad, Clubraum und Präsidenten(!)-Suite“ versteht man das allerdings ganz anders, als Sie das erwartet haben. – Macht aber nix, ist trotzdem Teil eines unvergeßlichen Aufenthaltes in Bremen. Dank sei dem „Gästeführer“. zott

Der „Gästeführer Bremen“ erscheint monatlich und ist kostenlos erhältlich bei Hotels, Gastronomiebetrieben, Informationsstellen und Einzelhandelsge-schäften