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Beachten Sie die geschmackvolle Infrastruktur    ■ Von Susanne Fischer

Es ist wieder soweit. Wir ersparen uns die Geisterbahn und besichtigen statt dessen Wohnungen. Häuser, genaugenommen, denn Wohnungen gibt es auf dem Lande nicht.

„Wirklich schöne Lage“, preßt der Liebste hervor, während er den Blick über den güllegetränkten Acker schweifen läßt und versucht, nicht einzuatmen. „Ja, nicht wahr? Für Naturfreunde das Optimalste“, frohlockt der Besitzer, „und sehen Sie nur die schöne Garage!“ Mit Mühe kann man hinter einem Dornengestrüpp einen Wellblechhaufen erkennen. „Und die Infrastruktur?“ frage ich. „Wir haben eine Telefonzelle im Dorf“, gibt der Mann unumwunden zu.

Er gesteht ebenfalls, daß sein Häuschen ein Eigenbau ist, „aber echt solide“. Dabei klopft er gegen die Styropordecke, an der wir mit unseren Mützenzipfeln entlangschrammen könnten, falls wir Zipfelmützen tragen würden. Wahrscheinlich tun wir das, wenn wir hier einziehen, denn die Posten als Gartenzwerge sind noch vakant. „Wußtest du, daß man mit einer Tür einen Menschen erschlagen kann?“ flüstere ich dem Liebsten angesichts einer Kreation aus Holzimitat und gelbem Preßglas zu. „Das hat Oswald Zille gesagt. Oder Heinrich Kolle?“

Wir befinden uns im Schlafzimmer, in das „aufs optimalste“ ein dreiteiliger Spiegelschrank hineinpaßt. Das können wir nicht leugnen, denn er steht ja drin. „Sie hören von uns“, wimmere ich, ehe wir die Flucht ergreifen. „Aber nicht in diesem Leben“, weiß ich, nachdem wir einige Kilometer zwischen uns und „das Objekt“ gebracht haben. „In einem Neubau kann uns nichts passieren“, singen wir im Chor nach der Melodie von „Wahrscheinlich geht die Welt gleich unter, während wir noch drauf sind“.

Wir singen, um uns Mut zu machen, während wir auf eine Baustelle zu spazieren. Der zugehörige Makler ist irritiert, weil wir zu Fuß unterwegs sind und er deshalb auf seinen liebsten Solvenz-Indikator verzichten muß. Er selbst fährt natürlich einen neuen Mercedes. Da kann die Kinderkarre unseres Sohnes nicht konkurrieren. Wir besichtigen einen appetitlichen Rohbau, an dem außer den Wänden nichts fertig ist. „Und die Bodenfliesen?“ fragt der Liebste. „Na, so italienisch, sage ich mal“, sagt der Makler mal. „Terracotta?“ haucht der Liebste sehnsüchtig. „Nicht direkt“, sagt der Makler mal. Er zeige uns am besten ein Muster. „Was ist das? Ich kann das nicht erkennen“, fragt der Liebste mit brüchiger Stimme. Es gibt auch nichts zu erkennen. Die Kacheln sehen aus wie die Kreationen meiner Neffen, als sie ihre Granulat-Untersetzer-Phase im Kindergarten hatten. Das ist die Phase, nach der alle Verwandten zur Familientherapie antreten müssen.„Äh, die Wandfliesen sind sehr geschmackvoll. Sehen Sie das hübsche Ornament.“ Wir sehen das Ornament, und der Makler sieht uns. „Na ja, es sind nicht so sehr viel Ornamente“, sagt er und erweist sich so überraschend als großer Menschenkenner. „Ich will nicht jeden Morgen brechen müssen, wenn ich ins Bad gehe“, zische ich. „Auf den Fliesen sieht man das jedenfalls nicht“, erwidert der Liebste ungerührt. Wir bekommen den Grundriß überreicht: Wohnzimmer, Schlafzimmer, Kind 1, Kind 2. „Willst du Kind 1 oder Kind 2 sein?“ fragen wir schließlich den Sohn. „Bäh!“ antwortet er. Und irgendwie hat er recht.

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