Die Family of Nan und Cindys Bürosplatter

Das 7. Internationale Filmfestival Dortmund – kleingedruckt: eine Veranstaltung von femme totale e.V. – interessierte sich bis zum Sonntag für „Biographische Streifzüge – as large as life“: Anspruchsvolles Kino mit mehr Frauen und weniger schlechten Filmen als sonst  ■ Von Elke Buhr

Statt roter Teppiche, Stars wie bei der Berlinale und dickbäuchigen Sponsoren aus der Industrie nur mühsam zusammenbeantragte Fördergelder von Kommune und Land und dazu dieses verdammte Lila-Latzhosen-Image! Da streicht man schon mal als Veranstalter die „Femme Totale“ aus dem Titel und nennt sich nun „7. Internationales Filmfestival Dortmund“. Dabei ist, wie Femme-Totale-Chefin Johanna Röbiger auf der Pressekonferenz feststellte, ein Frauenfestival nötiger denn je: Weiterhin werden lächerlich wenig Spielfilme mit großem Etat von Frauen gemacht, und Dokumentarfilme, bei denen Filmemacherinnen eher eine Chance haben, kommen nur in Ausnahmefällen in die Kinos.

Dann eben Festival. Und da zeigt sich, daß beim „Frauenfilm“ niemand mehr Angst vor 70er-Jahre-Betroffenheitsgelaber haben muß – was hier läuft, ist einfach ein anspruchsvolles Programm. Femme Totale ist ein themengebundenes Festival, das keine Preise vergibt. Zum Glück haben die Macherinnen auch der Versuchung widerstanden, den x-ten Jahrhundertrückblick zu machen; statt dessen ging es unter dem Titel „As large as life“ um Biographien, Identität, Lebensentwürfe.

Eine Meisterin im Verarbeiten der eigenen Biographie zu Kunst ist zum Beispiel die Amerikanerin Nan Goldin, als Fotografin weltbekannt. Ihr erster Film „I'll be your mirror“ von 1995 war eine Auftragsproduktion für die BBC. Er montiert Fotos, alte Videos und Interviews mit Freunden zu Goldins Lebensgeschichte, die zusammenfällt mit der Geschichte ihrer künstlerischen Produktion. Die Goldinsche Urszene ist der Selbstmord der geliebten älteren Schwester. Ihr Bild steht am Anfang einer Praxis, die Goldin mit dem Motto versieht: „Fotografieren, um nicht zu verlieren.“ Fortan wird geknipst: Goldin und friends, ein Haufen dünner Teenager mit dickem Kajalstrich zu bekifftem Blick. Dann die gekonnt-beiläufig inszenierten Schnappschüsse aus der New Yorker Boheme und Schwulenszene, der Glamour der 70er, der in den 80ern erst zur Trostlosigkeit der Junkies und schließlich zur Trauer um die Aids- Toten wird. Goldin inszeniert sich und ihre Freunde heute als nostalgische Überlebende einer Zeit, in der Drogen und Darkrooms noch Spaß gemacht haben.

Mit beiden Beinen in der Jetztzeit steht dagegen Goldins Kollegin Cindy Sherman, deren erster Film „Office Killer“ bei Femme Totale Deutschlandpremiere feierte. In den 80ern hatte Sherman mit ihren Selbstinszenierungen die Illustration zur beliebten feministischen These von der Identität als Maskerade geliefert; in den frühen 90ern schlich sie sich aus dem Bild, zugunsten von Prothesen und Puppenteilen, vorzugsweise als blutrot angestrahlte, zerstückelte Körper arrangiert. Da lag es nahe, daß ihre erste Regiearbeit scharf in Richtung Splatterfilm zielt. Hauptperson von „Office Killer“ ist die unscheinbare Dorine, die sich als unterbezahlte Redakteurin eines Wochenmagazins zwischen einem Haufen extrem zickiger Karrierefrauen unter die Räder des Lean Management gerät und zur Heimarbeit verdonnert wird. Dorine mutiert zur Killerin und versammelt in ihrem Keller nach und nach die halbe Bürobelegschaft in Form vermodernder Leichen. Leider ist das völlig ausrechenbar und folgt bis in die matschigen Eingeweide der Opfer hinein den Regeln des Genres. Was bleibt, sind einige nette Einstellungen, gruseliges Seitenlicht und leise Enttäuschung bei den zahlreich versammelten Sherman-Fans.

Als Weltpremiere zeigte Femme Totale ein Programm mit Werken japanischer Filmemacherinnen. In Japan, so erklärte die junge Chefin des Independant- Filmfestival von Tokio, haben sich bis jetzt noch weniger Frauen im Filmgeschäft durchsetzen können als hierzulande – vielleicht weil man dort üblicherweise als Pornofilmer startet, um dann überzuwechseln. Um so interessanter war zu sehen, was für Frauen es geschafft haben und was für Filme sie drehen. Midori Kurisaki zum Beispiel, eine würdige Dame in Kimono, brachte einen Film mit, der in langen Einstellungen und sorgfältig arrangierten Bildern die schwarzen Haare der Japanerinnen ganz traditionell als Schönheitsideal feiert. Ihre Kollegin Kei Fujiwara war Schauspielerin in anspruchsvollen Theaterinszenierungen – ihr Debüt ist ein zünftiger Splatterfilm, der die Frage nach einer weiblichen oder gar feministischen Perspektive kurzerhand im Geglibber zerschnetzelter Körper verschwinden läßt. In „In Search of a Lost writer“ ist die verschlungene Geschichte um eine japanische Schriftstellerin, die eine dritte Regisseurin, Sachi Hamano, wiederum in teilweise sehr ruhigen Bildern erzählt. Die Frau mit der riesigen Sonnenbrille hatte vor ihrem ersten Spielfilm tatsächlich über 300 Sexfilme gedreht.

Was zählt, ist eben Professionalität. Daher tauchen auch die „Lesbenfilme“ bei Femme Totale mittlerweile nicht mehr im eigenen Ghetto, sondern ganz selbstverständlich im ganzen Programm verstreut auf. Und über die Kategorie „Frauenfilm“ denkt man wirklich nicht mehr nach, hat man auch nur einige der rund 100 internationalen Produktionen des Festivals gesehen: Geht man sonst ins Kino, gibt es weniger Frauen zu sehen und mehr schlechte Filme. Das ist alles.