The Informer

Der Life Achievement Award für den Regisseur Elia Kazan ist mehr als die Vergebung für einen Künstler, der in der McCarthy-Zeit gefehlt und Namen genannt hat  ■ Von Georg Seeßlen

Es dürfte eigentlich nicht allzu schwer fallen, Elia Kazan am kommenden Sonntag mit einem Oscar für sein Lebenswerk zu ehren, den er sich als Regisseur und Autor, als Entdecker neuer Schauspielertalente so gut verdient hat wie der eine oder die andere auch. Ihn als den Künstler zu ehren, der doch immer mehr und besser ist als der Mensch, dem wir beinahe alle Sünden vergeben, wenn er sie nur zu beichten imstande ist. Doch im Fall der antikommunistischen „Säuberungen“ durch den Senator McCarthy geht es noch um etwas anderes, nämlich um eine rhetorische Figur, die wir aus dem historischen Revisionismus nur allzu gut kennen. War es noch vor einem Jahrzehnt durchaus möglich, vor dem Umstand zu erschaudern, daß ein offensichtlich hoch paranoider Charakter in der Lage war, durch die Mobilisierung der „Volksmeinung“ den auch nur unterstellbar widerständigen Teil nicht nur ganzer Branchen, sondern der ganzen Gesellschaft in einer terroristischen Aktion zu vernichten – wobei ganz offen neben dem antikommunistischen Wahn antisemitische und homophobe Impulse ihre Rolle spielten – so scheint es heute opportun, selbst in ansonsten nicht gänzlich kritikunfähigen Medien dem furchtbaren Senator in der Sache nachträglich recht zu geben und ihn allenfalls für seine Methoden zu tadeln. Schlimmer noch: Jener Elia Kazan, der eine Reihe von Menschen auf die schwarzen Listen und damit um ihre Arbeits- und Lebensmöglichkeiten brachte, wird selber dargestellt als Opfer eines „blacklisting“ – nicht weil er etwa jemals nicht hätte arbeiten oder sich in seinen Büchern publizistisch hat rechtfertigen können, sondern weil er seinen Academy Award eben erst jetzt, mit 88 Jahren, erhält.

Es gab in Hollywood zur Zeit der McCarthy-Verfolgung jenes Typenreservoir, das wir kennen: die schrecklichen Eiferer, wie John Wayne und Ward Bond, andere, die sich taub und blind stellen konnten, ein paar aufrechte Menschen, die für die Freiheit eintraten und glücklicherweise unantastbar waren wie Humphrey Bogart, die lustvollen verdeckten Denunzianten wie Robert Taylor – und es gab diejenigen, die vor dem House Un- American Activities Committee (HUAC) in einer Art öffentlichem Bruch in der Biographie Namen nannten, die Kollegen und Freunde als Kommunisten denunzierten, um ihre einträgliche Arbeit in der Traumfabrik nicht zu verlieren. Und natürlich gibt es ihre Opfer.

Das HUAC war bereits 1938 gegründet worden und hatte sich zunächst mit einer Reihe von vollkommen haltlosen Anklagen lächerlich gemacht, ehe es seit 1947 sein Hauptaugenmerk auf die Filmindustrie warf. Der erste Zusammenstoß verlief ausgesprochen dramatisch: Neunzehn Autoren und Regisseure wurde vorgeladen; zehn davon erschienen und weigerten sich, vor dem Komitee auszusagen, dem sie die demokratische Legitimation absprachen. Darunter befanden sich Dalton Trumbo, Edward Dmytryk und Ring Lardner. Neun andere erschienen nicht vor dem Komitee, darunter Robert Rossen und Richard Collins. Die als „Hollywood Ten“ bekanntgewordenen Opfer eines Verfahrens, das so offenkundige Verwandtschaft mit Schauprozessen andernorts hatte, wurden zu Gefängnisstrafen zwischen 6 und 12 Monaten verurteilt. Noch im selben Jahr gaben die Studiobosse eine gemeinsame Erklärung heraus, in der sie sich verpflichteten, keine Kommunisten einzustellen und die „Hollywood Ten“ zu feuern.

Nach einer kurzen Phase der Ruhe setzte das HUAC 1951 zum zweiten Angriff auf das „linke“ Hollywood an. Nun konnte die Politik mit der mehr als zuvorkommenden Hilfe durch die Industrie rechnen. Das effektivere Mittel nun war das Blacklisting. Wer vor dem Komitee die Aussage, und das hieß in der Regel die Denunziation, verweigerte, wurde auf die schwarzen Listen gesetzt und bekam zumeist keine Arbeit mehr in der Filmfabrik. Achtzig Prozent all jener, die nicht „kooperierten“, verloren ihren Job, der Rest konnte nur in Nischen überleben oder mußte sich wie Dalton Trumbo hinter Strohmännern verstecken. Edward Dmytryk entschloß sich, doch zum „freundlichen Zeugen“ zu werden, und hatte sofort wieder Arbeit als Regisseur. Ellen Schrecker hat es in ihrer Geschichte des McCarthyismus unmißverständlich formuliert. „Die offiziellen Unternehmungen des McCarthyismus, die öffentlichen Hearings, die FBI- Untersuchungen und die kriminellen Methoden der Denunziation hätten nicht so effektiv werden können, wenn der private Sektor sie nicht unterstützt und sogar verstärkt hätte.“ Natürlich nicht ohne Nebenabsichten: Die antikommunistische Hexenjagd in Hollywood war nicht zuletzt ein Krieg der Studiobosse (und einiger Schauspieler) gegen die Autoren, die es gewagt hatten, mehr Rechte einzufordern und sich zu organisieren. In der antikommunistischen Hexenjagd verbarg sich höchst geschickt der Kampf gegen alles, was Ärger machte und der unumschränkten Herrschaft der Produzenten hätte schaden können.

Elia Kazan geriet in der zweiten Welle der „Säuberungen“ in die Fänge des HUAC. Die Fakten sind einigermaßen eindeutig. Kazan war eine Zeit Mitglied der Kommunistischen Partei, engagierte sich als Mitbegründer des Group Theater, aber auch danach in linken Projekten und sah sich selbst als ein Künstler im Sinne sozialer Aufklärung. 1952 wurde er vor das Komitee geladen und machte mindestens acht ehemalige Freunde namhaft, die einst mit ihm in der Partei waren. Während er in einigen Interviews zaghaft andeutete, seine damalige Haltung sei ihm selbst doch ungemütlich, rechtfertigte er seinen Verrat in seiner Autobiographie und späteren Selbstaussagen als einen bewußten politischen Entschluß, und in seinem Film „On the Waterfront“ unternahm er so etwas wie eine cineastische Selbstheiligung des Verrats, die ganz offensichtlich auch in der Öffentlichkeit als solcher verstanden wurde. Marlon Brando verrät seine Freunde in einem melodramatisch messianischen Akt und verhilft so dem Recht zum Sieg. Und das Filmprojekt mag uns scheinen wie das Zusammentreffen dreier alter Verräter (Kazan, Autor Budd Schulberg und Schauspieler Lee J. Cobb) und der Korruption eines jungen Rebellen (Marlon Brando, der Kazans HUAC-Aussage scharf kritisierte, seiner Starmacher-Qualität aber nicht widerstehen konnte).

Nicht genug damit: Kazan ließ auf eigene Kosten im Jahr 1952 eine Anzeige in der New York Times drucken, in der er den Kommunismus als „dangerous and alien conspiracy“ darstellte und alle „Liberalen“ aufforderte, seinem Beispiel zu folgen. Nicht als Verräter, sondern als Geläuterter wollte Kazan gelten. Seine Entscheidung (nach einigem Widerstand), Namen zu nennen, hatte aber in Wahrheit nichts mit seiner politischen Wendung zu tun. Das Theater und das Kino waren seine Heimat in den USA geworden, sein Mittel „zu überleben“. „Das alles war“, sagt eines der Opfer, der Regisseur Abraham Polonsky, „keine moralische, politische oder ethische Frage. Es war eine praktische Frage. Aber so will man es nicht gern sehen, denn dann stehen die Charaktere in ziemlich miesem Licht da.“ Im übrigen ist es eine Legende, daß es nur eine kleine märtyrerhafte Gruppe gewesen sei, die dem Ansinnen des HUAC standgehalten habe. Zwei Drittel aller Zeugen wurden vom Komitee selber als „unfreundlich“ eingestuft; freilich: Die Bereitschaft zum Widerstand scheint direkt proportional zu dem abgenommen zu haben, was man in Hollywood zu verlieren hatte.

Kazan verteidigte seinen Verrat stets progressiv, politisierte ihn nachträglich und verhinderte damit, was so viele „freundliche Zeugen“ fürchteten: daß man dem McCarthyismus in Hollywood wenigstens symbolisch den Prozeß machte und die Verräter wenigstens symbolisch ihre Schuld eingestanden. Und so lange man ihm dieses Spiel auch nicht völlig abnahm, nun scheint die Zeit reif für die letzte Umwertung der Ereignisse. Elia Kazan, schreibt Richard Cohen in der Washington Post, wird nicht geehrt, weil man ihm das Verhalten im antikommunistischen Kreuzzug vergessen hätte, sondern weil er damit recht gehabt hat.

Wir verstehen: Es wäre vollkommen verfehlt zu gauben, die Debatte hätte etwa zum Inhalt, ob man einen erkannten Künstler mit dem höchsten Preis der Branche auszeichnet, OBWOHL er sich in einer Situation als schwach und egoistisch gezeigt hatte. Der Mehrzahl der Verteidiger seiner Ehrung geht es darum, ihn gerade WEGEN seines antikommunistischen Engagements auszuzeichnen und damit ein politisches Signal zu setzen. Es ist also keineswegs so, daß da ein alter Mann und verdienter Künstler über eine zweifelhafte Vergangenheit hinweggehoben werden soll und sich Amerika mit ihm und in ihm den McCarthyistischen Sündenfall vergeben möchte, sondern ganz offenkundig gehört auch diese Ehrung zu einer Revision der Geschichte des Kalten Krieges. Richard Cohen sagt es in seinem Leitartikel in dankenswerter Klarheit: „Niemand glaubt mehr, daß Washington und Moskau am Kalten Krieg gleich viel Schuld trugen. Diese Debatte ist zu Ende.“ Kein Wort von den vielen selbst im Sinne der absurden Anklagen unschuldigen Opfer. Und wenn Cohen am Schluß, beinahe unausweichlich, darauf zu sprechen kommt, das Stalin „in mancher Hinsicht“ mehr das Böse verkörperte als Hitler, dann soll mit dieser Verleihung eines Kinopreises an Kazan die Nachkriegsgeschichte neu geschrieben werden. Und wieder wollen sich die USA durch einen öffentlichen symbolischen Akt jeder (Selbst-) Kritik entziehen.

In Elia Kazan wurde der Verrat vom Sündenfall zur Mainstream- Ideologie. Gewiß kann man da vieles aus der Biographie eines Einwanderers erklären, der vor allem von der Furcht besessen scheint, wieder ausgegrenzt zu werden. Kazan zu „verstehen“ wäre die leichteste der kulturgeschichtlichen Übungen. Doch es reichte ihm nie, sich in Opportunismus zu üben, er wurde der Mythopoet des Opportunismus. In allen seinen Filmen gibt es die Spuren dieses Verrates und seiner Rechtfertigung, wenngleich nicht immer in dem rhetorischen Maße wie in „On the Waterfront“. Und sein Weg in den rechten Mainstream war nicht nur von der Wendung gegen alles Linke geprägt. Als er in seiner Verfilmung von Tennessee Williams' „A Streetcar Named Desire“ den Hinweis von Blanche auf die Homosexualität ihres Mannes durch eine „Nervenkrankheit“ ersetzte, erklärte er in einem Interview, diese Veränderung sei keineswegs nur der Zensur geschuldet. Vielmehr halte er Homosexualität für eine „Perversion“, und er könne jede „Schwäche“ verzeihen, niemals aber eine „Perversion“.

Der Blickwechsel in dieser Inszenierung scheint ebenso zäh wie radikal. Mit einem Mal sind, wie es der New Australian formuliert, die Opfer des McCarthyismus nichts anderes mehr als die „Hollywood- Stalinisten“. Kurzum, was als Geste der Versöhnung begonnen haben mag – über die man in der Tat hätte behutsam und fair debattieren können – erweist sich als Pojekt zur Rehabilitierung, mehr noch: zur Rekonstruktion des McCarthyismus.

Der „Oscar“, den Elia Kazan erhält, ist offensichtlich eine Entschuldigung der Komplizenschaft von Hollywood mit der Hexenjagd, eine Verhöhnung der Opfer. Was können wir tun? Auf unseren Händen sitzen, nicht den Hauch eines Applauses für den Verräter. Und über den Künstler Elia Kazan reden wir nur, wo es nicht zur politischen Inszenierung taugt.