Die EU-Reform ist reformbedürftig

Der Rücktritt der Kommission lenkt den Blick auf die Strukturprobleme der Brüsseler Behörde. Fachkompetenz wird dort kleingeschrieben  ■   Aus Bonn Daniela Weingärtner

Jauchzende Banker, knallende Sektkorken – gerade zehn Wochen ist es her, daß der neue „global player“ mit dem dicken Euro-Geldsäckel die Bühne betrat. In der allgemeinen „Wir sind jetzt wer“- Euphorie ging jedoch eines unter: Europa hat nun eigenes Geld, aber der drittgrößte Wirtschaftsraum der Welt wird verwaltet wie eine Bananenrepublik. Das Organ, das trotz halbjährlich wechselnder Ratspräsidenten und nationaler Regierungskrisen für Kontinuität in der Europäischen Politik sorgen soll, die EU-Kommission, funktioniert nicht.

Wie unbedeutend die Kommission im öffentlichen Bewußtsein im Vergleich zu Europas nationalen Regierungen wahrgenommen wird, zeigt ein Blick auf die Börse: Lafontaines Rücktritt entfachte ein Kursfeuerwerk. Als Santers gesamte Truppe aufgab, reagierten die Kurse kaum. Die Börsenpsychologie hat in diesem Fall einen rationalen Hintergrund: Europas Verwaltungsapparat ist so groß wie der einer mittleren deutschen Stadt. Und er kostet auch nicht viel: 2,8 Milliarden Euro, 3,5 Prozent des Kommissionsbudgets.

Die eigentliche Arbeit ist in private Beratungsfirmen ausgelagert – und damit jeder politischen Kontrolle entzogen. Die Kommissare reisen auf Ticket ihrer Regierungen nach Brüssel und finden dort Arbeitsbereiche vor, die ebenfalls nach nationalem Proporz und nicht nach Effizienz und Transparenz zusammengestellt sind.

Manuel Marin zum Beispiel kümmert sich um „Beziehungen zu den Ländern im südlichen Mittelmeerraum, im Nahen und Mittleren Osten, in Lateinamerika und Asien, einschließlich Fragen der Entwicklungshilfe“. Für Fragen der Entwicklungshilfe darf sich aber auch der Portugiese Joao de Deus Pinheiro zuständig fühlen. Angesichts solch unklarer Kompetenzen ist es nicht verwunderlich, wenn sich am Ende keiner zuständig fühlt, sobald es Ärger gibt.

In Marins Aufgabenbereich fällt das Mittelmeerprogramm MED. In der Vorgängerkommission war er für das humanitäre Hilfsprogramm ECHO zuständig, das jetzt die Italienerin Emma Bonino betreut. Beide Programme werden seit Jahren mit Mißwirtschaft und Schlamperei in Verbindung gebracht. Der häßliche Verdacht, er habe sich persönlich bereichert, ist für Manuel Marin aber vom Tisch, seit die fünf Weisen ihren Bericht vorgelegt haben. Nun hat er es schriftlich und von integrer Stelle: Er ist „nur“ überfordert, uninformiert und inkompetent – ein Urteil, das auf die meisten seiner Kommissionskollegen auch zutrifft.

Die Reform der EU-Kommission, nach der nun laut verlangt wird, müßte hier ansetzen: Nach sachlichen Erwägungen, ähnlich nationalen Ressorts, müßten die Kommissionen zugeschnitten sein. Arbeitsfelder müßten eindeutig den Kommissionen zugeordnet werden. Wo das bislang schon geschieht, in der Agrarpolitik (Franz Fischler), beim Wettbewerb (Karel van Miert), beim Verkehr (Neil Kinnock), hat es auffällig weniger Ärger und Pannen gegeben als in den Gemischtwarenläden der Kollegen.

Mit dem Amsterdamer Vertrag, der am 1. Juni in Kraft tritt, soll Europa demokratischer und effizienter werden. Zwei Jahre hat es gedauert, bis das Reformwerk, das auf dem Gipfel von Amsterdam ausgehandelt wurde, wirksam werden kann. Aber die Reform ist schon wieder reformbedürftig. Spätestens der Knall von Brüssel hat das deutlich gemacht. Die Stukturprobleme der Kommission wurden zwar vor zwei Jahren schon klar gesehen. Die Regierungschefs konnten sich aber nicht auf einen Kompromiß einigen, der ihren nationalen Einfluß beschränkt hätte.

Zwar wird der Kommissionspräsident in Zukunft „politische Führung“ ausüben können. Die Tatsache, daß er vom Parlament bestätigt werden muß, stärkt seine Legitimation. An der Anzahl der Kommissionen und ihrem Zuschnitt ändert sich aber nichts. Bis zur Erweiterung dürfen die fünf größten EU-Staaten je zwei Kommissare behalten. Ticketsystem statt Fachkompetenz – auch in Zukunft werden uninformierte und inkompetente Kommissare, die an der Nabelschnur ihrer nationalen Regierung hängen, die Regel sein.

Wettbewerbskommissar Karel van Miert wünscht sich für die Zukunft eine gewählte Kommission. Angesichts von unverändert starkem Nationalegoismus gibt er diesem Vorschlag aber selbst keine Chance. Grundlegende Reformen wären nur möglich, wenn sich die Regierungschefs eine Denkpause verordnen. Da die abgetretene Kommission aber nur noch Dienst nach Vorschrift machen will, erhöht sich der Druck auf die deutsche Präsidentschaft, auf einen raschen Wechsel zu drängen. Denn nur die Kommission kann Beschlußvorlagen für die Agenda 2000 ausarbeiten. Der Pöstchen-Schacher nach Ticketsystem hat in den Hauptstädten Europas längst wieder begonnen.