Trittin trifft ins Schwarze

■ Der Umweltminister erklärt das Reformprojekt Rot-Grün für gescheitert und eröffnet die Schwarz-Grün-Debatte. NRW-Bauminister Michael Vesper: „Verrückt!“

Bonn (taz) – Umweltminister Jürgen Trittin hat seine Partei einmal mehr mit überraschenden Äußerungen in Bedrängnis gebracht. Gegenüber dem Stern erklärte er Rot-Grün als „Reformprojekt“ für „tot“. Zugleich stellte der Parteilinke Überlegungen über eine Zusammenarbeit von CDU und Grünen in der Zukunft an. Nach dem Rücktritt von Oskar Lafontaine gebe es zwei Volksparteien der Mitte, die kaum noch zu unterscheiden seien, sagte Trittin. Deswegen spreche „mittelfristig für die CDU als Partner genausoviel wie für die SPD“. Einziges Hemmnis für eine intensivere Zusammenarbeit sei die Unionskampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Mit der SPD gebe es allenfalls „noch eine Summe gemeinsamer Interessen“, schlußfolgerte Trittin.

Der Koalitionspartner versuchte gestern die Äußerungen gelassen zu nehmen. SPD-Fraktionsvorsitzender Peter Struck nannte sie „wenig hilfreich“. Vielleicht wolle er sich, so Struck, für die Kritik an seiner Person revanchieren. Das sei „menschlich verständlich“. Rot-Grün sei keine Liebesheirat gewesen, stellte Struck klar. Nach vier Jahren gemeinsamer Arbeit werde man dann zu prüfen haben, ob das „Zweckbündnis“ fortgesetzt werde.

Sowohl Exponenten der Linken wie auch der Realos gingen gestern auf Distanz zu Trittin. Fraktionssprecher Rezzo Schlauch nannte es gegenüber der taz „wenig hilfreich, sich in politisch-taktischen Machtspielchen zu ergehen“. Wichtiger sei, die Koalition durch eine inhaltliche Debatte „nach vorne zu bringen“. Der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele vom linken Flügel charakterisierte die Positionen der Grünen und der CDU als „inkompatibel“. Der grüne nordrhein- westfälische Bauminister Michael Vesper: „Es ist verrückt, sich zu allem Überfluß auch noch eine schwarz-grüne Debatte ans Bein zu binden.“ Ob dieser heftigen Reaktion versuchte der Umweltminister gestern abend noch zurückzurudern und bezeichnete die Koalition mit der SPD als „stabil“. Er sehe derzeit keine Chancen für eine Koalition mit der CDU. Allein, die Wogen konnte er nicht mehr glätten.

Unterstützung erhielt Trittin hingegen vom verkehrspolitischen Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Albert Schmidt. In einem taz-Beitrag forderte das Mitglied im Aufsichtsrat der Bahn AG seine Partei auf, langfristig nach „weiteren Koalitionsoptionen“ zu suchen: „Wer aber jetzt und in den nächsten Jahren mit Schröder erfolgreich regieren lernt, wird eines Tages selbstbewußt auch bei der CDU anfragen können“, so Schmidt. Mit Kritik an der SPD und vorsichtiger Distanz reagierte gestern Antje Radcke, eine der beiden grünen Parteisprecherinnen. Sie rüttele zwar nicht an der jetzigen Koalition, auch sei eine Zusammenarbeit mit der CDU „zur Zeit definitiv nicht möglich“. Jedoch habe der frühere Kanzler Helmut Kohl „sich nicht so auf Lobbypolitik versteift wie jetzt Schröder“. Laut Radcke wollen die Grünen deutlich machen, daß sie die „einzige Reformkraft in der Regierung“ seien.

Die CDU-Generalsekretärin Angela Merkel sagte, was Trittin nicht erkannt habe, sei, daß die „Grünen vielleicht gar nicht mehr in Deutschland gebraucht werden“. Severin Weiland

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