Der vergessene Brief

■ St. Paulis Vizepräsident Wolfgang Helbing wird von seinem eigenen Rücktritt überrascht

„Herr Wolfgang Helbing ist nicht mehr Präsidiumsmitglied.“ Ein Satz, eine Pressemitteilung, mehr nicht. Völlig überraschend verkündeten am Mittwoch abend Heinz Weisener, Präsident des FC St. Pauli, und dessen Vize Uli Schult den Rücktritt ihres Kollegen. Noch überraschender war das Datum des Schreibens, das der Klubchef präsentierte und in dem Helbing ähnlich lapidar in einem Satz verkündete: „Hiermit trete ich mit sofortiger Wirkung von meinem Amt als Vize-Präsident zurück.“ Bereits am 17. November 1998 soll der Bankkaufmann seine Demission bekanntgegeben haben.

„Ich bin nicht zurückgetreten“, war Helbing gestern selbst über seinen Rücktritt erstaunt. Es habe sich nur um „einen Trick“ gehandelt. Als er am 30. Oktober vergangenen Jahres von den Vereinsmitgliedern gewählt worden war, sah er sich noch nicht in der Lage, die finanziellen Verhältnisse am Millerntor zu durchschauen. Als Weisener dann am 17. November in Urlaub flog, wollte sein Vize nicht die ganze finanzielle Haftung tragen für den Fall, daß seinem Chef etwas zustoße. Daraufhin hinterlegte er in Absprache mit dem Vorsitzenden den Brief, um sich abzusichern.

Weisener selbst widerspricht dieser Darstellung. „Ich bin tatsächlich am 17. November in die Ferien gefahren, und am selben Nachmittag erschien Herr Helbing und überreichte meiner Sekretärin einen Brief, dessen Annahme er quittiert haben wollte“, erläutert der Hauptsponsor des Klubs seine Darstellung. Diesen habe sie dann in den Safe gepackt und vergessen. Vor ungefähr einer Woche sei ihm dann von einer Person mitgeteilt worden, so Weisener weiter, daß Helbing sich in der Öffentlichkeit beleidigend über ihn geäußert habe. „Er bezeichnete mich als kranken, senilen, alten Mann. Das ist doch ein bißchen happig“, zitierte der Präsident seinen Informanten, der inzwischen eine eidesstattliche Erklärung darüber abgegeben habe.

Als dann im Architekturbüro Weisener über diesen Vorfall diskutiert wurde, erinnerte sich die Sekretärin plötzlich daran, daß vom Vizepräsidenten noch ein Brief vorliege. „Darin war dann das Rücktrittsschreiben“, spinnt Weisener die Geschichte weiter. „Ich habe dann meine Juristen befragt, welche Konsequenzen das habe. Die Konsequenz war: Alle Unterschriften, die Herr Helbing geleistet wurde, sind ungültig.“

Das Rücktrittsschreiben kommt Weisener nicht ungelegen. Helbing und er waren sich nie ganz grün, galt doch der Vize als U-Boot des Aufsichtsrates im Präsidium. Der war von der Entwicklung ebenso überrascht. „Wir wissen selbst noch nicht, wie wir darauf reagieren sollen“, wollte der Vorsitzende Jens Clauss gestern keine Stellung dazu nehmen. Eberhard Spohd