Dallas trifft auf Bunuel

■ Neu im Kino: „Sitcom“ von Francois Ozon nimmt Daily Soaps mit allen Mitteln auf die Schippe

Eine adrette Wohlstandsfamilie wird in immer absurdere Dramen verwickelt, und alle zehn Minuten muß ein komischer oder schockierender Höhepunkt kommen, damit man während der Werbepause nicht wegschaltet. Das ist das Strickmuster der täglichen Fernsehserien, der „Sitcoms“ oder „Soaps“. Und an diesem Schema hat den jungen französischen Regisseur Francois Ozon offensichtlich gereizt, daß man alles hineinstopfen kann, solange man das Publikum nicht langweilt. Nun würden die Zuschauer, die sich täglich „Verbotene Liebe“ oder „Männerwirtschaft“ antun, wahrscheinlich ganz schnell schreiend wegschalten, wenn ihnen „Sitcom“ vor die Fernbedienung käme. Denn Ozon ist ein Bilderstürmer, der die Konventionen des Genres subversiv unterminiert und dann mit viel boshaftem Humor hochgehen läßt. Sein Film sieht so aus, als hätte Bunuel sich „Dallas“ vorgenommen.

Gleich in der ersten Szene erzählt Ozon, wie Papa Jean nach Hause kommt und seine ganze schöne Familie erschießt. Rückblende: Ein paar Monate vorher bringt Jean seiner noch ganz biederen Sippe ein Haustier als Geschenk ins Haus. Es ist eine süße, weiße Ratte, die sich als der Katalysator des Familiendramas erweist, denn jeder, der sie streichelt, wird sofort von seinen Trieben übermannt. Der Sohn entdeckt seine Homosexualtiät, die Tochter ihren Todeswunsch und die Haushälterin ihre Vorliebe für ausgefallene Frisuren. Mit jeder Szene entdeckt die Familie eine neue Perversion: Sadomasochismus, Sodomie, Unzucht mit Riesenzucchinis und Inzest. Ozon läßt sehr schnell alle Wahrscheinlichkeit und Psychologie weit hinter sich und kippt den Film im letzten Drittel schließlich ganz ins Surreale. Dabei ist er zugleich so komisch, makaber und feinfühlig, daß die Familiensaga nie ganz aus dem Gleis springt. Die Filmfiguren verwandeln sich nie gänzlich in Karikaturen, so daß wir Zuschauer manchmal ganz eigentümlich gerührt sind, obwohl wir doch gleichzeitig wissen, daß alles nur ein großer Witz sein kann.

Dies gelingt Ozon dadurch, daß seine Figuren zwar allesamt Serien-Klischees entsprechen, aber in ihren Eigenarten und Manierismen doch genau der Realität abgeschaut wurden. Wer kennt nicht solch einen älteren, drögen Herren wie Jean, der ständig nur altbackene Sprichwörter und Kalenderweisheiten von sich gibt? Wer hat sich nicht schon über solch eine perfekte Hausfrau wie Hélène aufgeregt, die ewig hinter einem herräumt und vor lauter Harmoniesucht meschugge geworden ist? Daß ausgerechnet sie schließlich mit ihrem homosexuellen Sohn schläft, „um ihm den richtigen Weg zu weisen“, ist nur einer von den vielen irrwitzigen Drehs von Ozons Drehbuch, zu dem er scheinbar ständig ein Handbuch der schönsten Perversitäten zu Rate gezogen hat. Und auch dem Zuschauer stellt er zum Schluß noch eine böse Falle: Stimmt es etwa gar nicht, was wir zu Anfang des Films selbst miterlebt haben? Diese Pointe darf natürlich nicht verraten werden, aber wenn man sich erinnert, daß sich eine ganze, ein Jahr lang laufende Sende-Staffel von „Dallas“ schließlich als (Alp)-Tagtraum unter der Dusche herausstellte, nur weil das Publikum unbedingt eine schon längst verstorbene Figur wieder in der Serie sehen wollte – wenn man also dies bedenkt, dann entspricht Ozons frecher Regelbruch immer noch voll und ganz den Konventionen der TV-Serien.

Wilfried Hippen

„Sitcom“ im Cinema täglich um 21 Uhr / OmU am Samstag um 20.30 Uhr im Kino 46