„Virtuosen im Aufgeben“

■ Sarah Wagenknecht von der „Kommunistischen Plattform“ der PDS putzte die rot-grüne Bundesregierung herunter – mit Esprit

17 Milliarden Mark werden in diesem unserem Land den bekanntermaßen faulen, unfähigen, stets bestens gelaunten, in Eisdielen abhängenden Sozialhilfeempfängern in den Rachen geworfen. Zum Beispiel in Bremerhaven. Wo man doch so leicht Eigeninitiative ergreifen könnte: Fischefangen, Selbstmordagenturgründen, Matrosenhüteverkaufen ... Wie übel. Klar geht hingegen, wenn bemitleidenswerte Wesen, die täglich unter der schweren Last der Verantwortung für ihr Millionenvermögen stöhnen, für ihr kunstvolles, leistungsstarkes, bewundernswürdiges Geschick beim Geldanlegen mit 220 Milliarden Mark honoriert werden. Was sind schon 220 Milliarden? Aber was heißt hier: Es geht klar? Es wird gar nicht erst darüber debattiert, ob es Sinn ergibt, wenn in einer sogenannten Leistungsgesell-schaft immer mehr Geld durch Nichtleistung an der Börse verdient wird. Wer das Wörtchen „Sozialschma-rotzer“ am ehesten verdient, fragt leider kein Schwein, es sei denn Gregor Gysi oder Sarah Wagenknecht.

Letztere versuchte denn auch im Konsul-Hackfeld-Haus in einem hirnschlaufenver-drehend schnellen Vortrag herrschende Diskursmuster zu demontieren.

Zum Beispiel das Argument: Wir wollen den Sozialstaat, aber leider können wir ihn uns nicht mehr leisten. Wie kann das sein, fragt Wagenknecht. Seit 1980 ist die Produktivität um 35 Prozent gestiegen. Wenn also die Verteilungsverhältnisse von 1980 beibehalten würden, könnten wir – vereinfacht gesprochen – die Arbeitszeit um ein Drittel kürzen, bei vollem Lohnausgleich. Die Konkurrenz der Nachbarstaaten? „Das ist ja genau das Projekt von Maastricht: Die Staaten gegeneinander auszuspielen zum Zwecke des Absenkens der Sozialstandards.“

Weiter heißt es oft: „Wir haben früher einfach über unsere Verhältnisse gelebt.“ Warum eigentlich: Nie machte der deutsche Staat so viele Schulden wie jetzt. Kein Wunder, übernimmt doch, laut Wagenknecht, der Staat zum Beispiel 150 Millarden im Jahr Verlustgarantie (auch anderswo gibt es Köllmanns, Jeckylls und Rice) für die Wirtschaft. „Wie verlogen. Genau jene Leute, die sonst immer den schlanken Staat einklagen, fordern ihn hier ganz hemmungslos.“ Es geht darum, „solche demagogische Begrifflichkeit“ zu durchschauen.

Aber hat sich seit Rot-Grün nicht doch einiges gebessert? „Die Rückverteilung von oben nach unten wird zwar behauptet, aber durch keine der Steuerreformen realisiert.“ Die kleinen tatsächlichen Verbesserungen – Krankheitsfall- und Kündigungsschutzregelungen – haben für Wagenknecht „tendentiell eher Alibifunktion“. Und „ein Schily wird wohl garantieren, daß kein Asylant weniger in Abschiebehaft gerät.“ Ihre Prognose: „Die Umverteilung nach oben geht weiter.“ Und besonders die Grünen hält sie für Virtuosen im „Aufgeben von Positionen.“ Da ist ihr ein Lafontaine lieber, der eher geht als schlecht besteht.

Das Aufgeben von Positionen befürchtet auch mancher PDSler für seine Partei, seit sie sich ums Mitregieren balgt. Bei der ellenlangen postvorträglichen Diskussion wurden aber auch Fragen zur Strafverfolgung von DDR-Häuptlingen, zum revolutionären Potential von Volkes Mehrheit, Reformmöglichkeiten innerhalb des kapitalistischen Systems etc. diskutiert. Ein verkalkter Haufen von Betonköpfen, wie immer behauptet, war da eigentlich nicht zu erleben. Eher zu viele disparate individuelle Ideenvorlieben. Junge (vor allem Jungs) waren übrigens auch da.

Zum Thema systemimmanente Reform verfolgt Wagenknecht übrigens eine Art Zwei-Phasen-Strategie: Auch innerhalb der existierenden Rahmenbedingungen lassen sich durch Streiks und linkere Wahlergebnisse Verbesserungen erkämpfen; lieber – wenn auch mittelfristig außer Sichtweite – wäre der Lady aber eine Veränderung der Besitzverhältnisse.

Stark wird sie, wenn sie die großen Schlüsselwerte dieser Gesellschaft überprüft. Freiheit: Welche Freiheit eigentlich, wenn die ökonomischen Handlungsspielräume der einzelnen zusammenschrumpfen und man in der Berufswahl wählerisch nicht mehr sein darf. Demokratie: Welche Demokratie, wenn nicht mehr gewählte Mehrheiten über Steuern und Gewerkschaften über Tarife entscheiden, sondern die Industrielobby, deren demokratische Legitimation gleich Null ist? Warum gelten eigentlich solche Überlegungen hier und heute entweder als gefährlich oder als kindlich-naiv und nicht einfach als interessant? Barbara Kern

19.3. 19.30h: Diether Dehm, Autor peinlicher Klaus-Lage-Texte (“Tausend mal berührt“, „Faust auf Faust“), Dr. phil, Ex-Heilpädagoge, Ex-SPDler, seit 1/99 Stellvertretender Parteivorsitzender der PDS, im Konsul-Hackfeld-Haus, Birkenstr. 34