Glamour, Dekadenz etc.
: Seidenfeine Weinkleider

■ Schöner essen und sich betrinken: Ein Galadiner im Hotel Adlon

Ah, der kühle Lufthauch, der dem indischen Elefantenbrunnen im Zentrum des Marmorfoyers entströmt. Ah, die zierlichen Schmiedeeisenbalustraden, die die kleinen Logen unter der weißen Kuppel sanft umspielen. Ah, die Gräfin Weidenfels und ihr herrlicher Gemahl. Angenehm, höchst angenehm. Trafen wir uns nicht zuletzt bei der Verabschiedung des türkischen Konsuls? Ja, der versteht zu feiern, der Konsul, der weiß, wie man seine Gäste verwöhnt. Und sein Wein, also sein Wein, meine Liebe – ein Gedicht...

Doch heute abend, so denke ich, wird all dies noch weit in den Schatten gestellt werden. Heute abend sind wir zu Gast bei Marchesi De' Frescobaldi, dem bezaubernden Weinmeister aus Italiens Süden, und Gianfranco Ferre', dem großen Modeschöpfer. Sie haben ins Adlon geladen, zu einem Empfang im kleinen Rahmen und einem feinen Galadiner danach. 200 Gäste sind gekommen. Manches Tischkärtchen von Prinzessinnen, Grafen und Konsulen blieb ungenutzt. Frescobaldi und Ferre' stellen eine Weinflasche vor. Sonst nichts. Eine Weinflasche, die erst ab Oktober zu kaufen sein wird. Eine Magnumflasche Brunello di Montalcino Riserva 1993. Ferre' hat ihr ein Kleid geschneidert. Nun, ein Kleid – ein Seidenetikett mit zwei verschlungenen Fs darauf, ein Purpurbändchen um den schlanken Hals geschlungen, das bronzen an die Flasche festgesiegelt wurde, und kleine goldene Lilien prangen oben, unten, überall. Leider darf man noch nicht probieren. Die Flaschen, die auf den reich gedeckten Tafeln verteilt wurden, sind leer.

Macht nichts, macht nichts. Wir trösten uns mit einem Montesodi 1995, Chianti Rufina doc, und einem Pomino Benefizio 1996, die zu einer Komposition vom Kaninchen mit Artischocken und Limettenvinaigrette gereicht werden. Auf den Tischen liegen dicke rote Brokatdecken, der große Dinersaal liegt in schummrigem Kerzenschein. Man amüsiert sich auf das köstlichste. Die mittelalte Dame, die zu meiner Linken zu sitzen kommt, berichtet auf höfliche Nachfrage meinerseits, was sie des Tags beschäftige: „Ach, schauen Sie – ich und mein Mann, wir leben nur noch. Wir arbeiten schon lange nicht mehr. Nur noch für karitative Zwecke, wissen Sie?“ Verstehe, verstehe.

Eine Dame mir gegenüber, die mit ihrem beleibten Mann gekommen ist, will die ganze Zeit über Kanzler Schröder reden, und was für eine Frechheit das ist, daß der sich in feinen Flanellmänteln in Lifestylemagazinen abbilden läßt, „während draußen auf der Straße...“, und schiebt sich ein kleines Lammrückenscheibchen in den Mund. Ihr Nachbar, der immer nur italienische Krawatten kauft, wie er behaarlich behauptet, und stolz ist, daß die heute abend gewählte so gut zur Tischdecke paßt, stellt überrascht fest: „Ach, das ist gar keine Modenschau hier heute abend? Zu dumm. Na, dann betrinken wir uns eben. Ganz einfach“, und prostet den Damen entschlossen zwinkernd zu. Volker Weidermann